14.2.24

Der Begriff „System“

In letzter Zeit habe ich den Begriff „System“ mehrmals gebraucht.

Er wird oft, fälschlicherweise, allein der politischen Rechten zugeordnet, die damit ihre Ablehnung gegen unseren demokratischen Staat ausdrückt. Das ist genauso falsch, wie die Tatsache, dass das Wort „Regime“ im allgemeinen Sprachgebrauch und in den Medien nur für diktatorische Regierungen verwendet wird. In Wahrheit ist „Regime“ ein neutraler Begriff, der für alle Regierungen eingesetzt werden könnte – wenn man es denn täte.

Nun, Niklas Luhmann unterscheidet in seiner „Systemtheorie“ Mikro- und Makrosysteme. Ein Mikrosystem ist etwa eine Liebesbeziehung, ein Makrosystem ist etwa ein Rechtssystem. Man kann das vergleichen mit der Mikro- und Makroökonomie. Oder, natürlich, mit der Mikro- und Makrosoziologie.

Luhmanns Werk ist nicht einfach zu verstehen; einen Zugang für Außenstehende zu finden, ist nicht leicht. Ich empfehle jedem, der sich damit beschäftigen will, erst mal den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu lesen (obwohl Wikipedia an Universitäten „nicht zitierfähig ist“, worauf ich während meiner Studienzeit immer wieder hingewiesen wurde).

Luhmann und Jürgen Habermas - mit dem ich mich auch im Studium beschäftigte – waren sich in einigen Punkten nicht einig, und hatten auch eine Kontroverse. Luhmann lehrte in Bielefeld, Habermas in Frankfurt. Das sind zwei Universitäten mit renommierten sozialwissenschaftlichen Fakultäten.

Also: Bitte den Begriff „System“ nicht falsch verstehen, wenn ich ihn verwende.

(ERGÄNZUNG, 16.3.24: Prof. Philipp Felsch von der Humboldt-Uni Berlin bezeichnet Luhmann in einem Essay heute in der "Süddeutschen" als "antiidealistisch" und "neokonservativ". In Essen hörte ich etwas über Luhmann, in Frankfurt über Habermas. Ich würde mich nicht als Intellektuellen bezeichnen, oder behaupten, dass ich beide Theorien wiedergeben könnte - schließlich ist mein Studium auch schon wieder mehr als 15 Jahre her. 

Aber ich finde Streit zwischen "linken" und "rechten" Intellektuellen spannend. Ähnlich den Historikerstreit von 1986, in den Ernst Jünger und - wieder - Jürgen Habermas involviert waren.)  

29.1.24

Warum die Proteste gegen die AfD wichtig sind, und unsere Demokratie funktioniert

Ich sage es offen: Auch ich habe lange Zeit an unserem Staat gezweifelt. Und geglaubt, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, ihre Rechte und Freiheiten zu verteidigen.

Die Demos in den letzten Tagen gegen die AfD haben mir Mut gemacht. Mut, noch einmal auf ihre Wichtigkeit hinzuweisen. Und den Glauben an unser "System" (wieder dieser kompromittierende Begriff) zurück gegeben.

Auch ich wäre gerne mitgegangen. Kann das nicht so einfach, weil mir Menschenmassen nicht so gut tun. Aber vielleicht werde ich es noch einmal tun.

Auch, dass ein AfD-Kandidat im umkämpften Thüringen verloren hat, und dass der Bundespräsident sich eingeschaltet hat, macht mir Hoffnung. Wir werden unser Land gegen die Extremisten verteidigen.

Davon bin ich überzeugt.

 

19.1.24

Die Krise der Sozialdemokratie – Die Krise des Konservatismus – Die Krise des Liberalismus

Im Urlaub im vergangenen Sommer las ich ein – recht sperriges und ausschweifendes – Buch des Frankfurter Politologen Thomas Biebricher über die Krise des Konservatismus.

Er führte, neben der Krise der deutschen Christdemokraten, als Beispiele auch Frankreich, Italien und Großbritannien an. Auch in diesen Ländern sind konservative Parteien in der Krise, teils sind sie ganz verschwunden. Konservatismus, wie ihn Kanzler Kohl 1982 noch mit der „geistig-moralischen Wende" propagierte, sei mittlerweile einem reinen und schlichten Traditionalismus gewichen, so Biebricher.

Länger bekannt ist die Krise der linken Parteien. Über die SPD-Krise wurde zu den Zeiten, in denen sie Juniorpartner in Merkels Großer Koalition war, häufig und intensiv diskutiert. Es wurde bezweifelt, dass sie jemals wieder eine Regierung anführen werde. Was dann allerdings doch geschah. Auch „ganz weit links“, in Gestalt der Partei „DIE LINKE“, ist in einer Krise. Die ist aber, im Gegensatz zur SPD, existenziell. 

Auch der Liberalismus ist in der Krise. Nehmen wir die FDP. Sie war von der Gründung der Bundesrepublik 1949 bis zum Ende der ersten GroKo 1969 nationalliberal. In den Zeiten der SPD-FDP-Koalition von 1969 bis 1982 war sie dann sozialliberal. Seit 1982 ist sie eigentlich nur noch wirtschaftsliberal. Auch, wenn sie zurzeit mit SPD und Grünen regiert – dafür ist sie in Umfragen mal wieder unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht.

Lange Jahre waren, zumindest in Deutschland, „Bündnis 90/Die Grünen“ der Gewinner der Krise von linken, rechten und liberalen Parteien. Sie fuhren einen Wahlerfolg nach dem Anderen ein Zwar sind sie immer noch erfolgreich. Doch man merkt dem Bundeswirtschaftsminister von den „Grünen“ an, wie er mit sich und seinem Amt kämpft. Dass seine „Masche“, die lange funktioniert hat, in der Krise so recht nicht mehr funktionieren will. Ob die Regierung bis 2025 hält, weiß zurzeit niemand.

Aktuelle Gedanken zur Gesellschaft

Ich hatte an anderer Stelle ja schon einmal vom Thema „Heimat“ geschrieben. Gestern sah ich die „Tagesschau vor 20 Jahren“ von 2004, in der der Regisseur Edgar Reitz wegen seiner „Heimat“-Trilogie vom Land Rheinland-Pfalz ausgezeichnet wurde. Die Laudatio hielt damals Kurt Beck.

Heimat ist für mich da, wo man sich wohl fühlt.

Meine evangelische Mutter fühlte sich im katholischen Rheinland am Wohlsten. Mein katholischer Vater im evangelischen Niedersachsen.

Ich als evangelischer Rheinländer, der im Ruhrgebiet lebt? Diese Frage kann ich nicht so leicht beantworten.

Jedenfalls spielt die Frage, ob man in der Diaspora lebt, bei mir keine große Rolle. Die Bedeutung von Kirchen, aber auch Gewerkschaften und Parteien, geht seit Jahrzehnten zurück. Die Menschen ziehen sich zunehmend ins Private zurück. Zugleich stimmen die Begriffe „gläubig“, „links“ und „rechts“ nicht mehr so recht. Klassische Medien, ob Zeitungen, Zeitschriften, TV oder Radio, verlieren immer mehr an Zuspruch. Die Aufmerksamkeitsökonomie fokussiert sich auf Internet, Smartphone, Streamingdienste und Spielekonsolen.

Die Gesellschaft verändert sich, und ist in einem kontinuierlichen Wandel.

Ich schreibe deshalb gerne darüber, weil ich Sozialwissenschaften studiert habe. Das heißt nicht zwangsläufig, dass ich Gesellschaft deswegen besser einschätzen kann.

Aber wenn ich beispielsweise Folgendes sehe: Wir fahren Auto immer noch wie vor 100 Jahren, mit Verbrennermotor und Benzin. Im Gegensatz dazu, haben sich Computer und Unterhaltungselektronik rasend schnell entwickelt.

Wie kommt es, dass manche Technologien stehen bleiben, und andere sich rasant fortentwickeln? Warum ist es kein Problem, sich alle zwei Jahre ein neues Smartphone und ein neues TV mit den neuesten technologischen Entwicklungen zu kaufen, aber ein Problem, sich ein Auto mit Elektroantrieb zuzulegen?

Ich frage das als Jemand, der selbst noch einen Verbrenner fährt.

Warum dauern manche Entwicklungen so lange, und andere gehen so schnell? Ist das Traditionalismus, Konservatismus, Beharrungsvermögen? Ich weiß es nicht.

Zurück zum Thema „Heimat“.

Der baden-württembergische Ministerpräsident von den Grünen hat sich einmal recht abfällig über dieses Thema geäußert. Dabei ist er selbst kein gebürtiger „Südweschtler“ und regiert ein traditionsbewusstes Bundesland. Bei „uns“ in NRW, das weniger ländlich, mehr urban, geprägt ist, geht man mit diesem Begriff entspannter um. Mein Vater sprach in Bezug auf NRW oft davon, dass hier das „Beharrungsvermögen“ ausgeprägter sei als anderswo. Allerdings war das in den 1990er-Jahren, und er meinte wohl die Kohlesubventionen.

Dass es in jedem Bundesland anders zugeht, merkt man auch an der Debatte ums Gendern. Während nach den AfD-Erfolgen bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern das Gendern „top down“, also von oben, verboten wurde, will man sich in NRW „mit so einem Scheiß“ (Zitat Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“) regierungsseitig nicht beschäftigen.

Warum auch.

Soweit meine Gedanken zum Thema Heimat, Gesellschaft, Gendern und Verkehr.

(ERGÄNZUNG: Mein Satz "Warum auch" wird in der englischen automatischen Übersetzung lapidar als "Why?" übersetzt. Korrekterweise müsste die Übersetzung, für die englischen Leser, heißen: Warum sollte sich die nordrhein-westfälische Landesregierung auch mit so etwas beschäftigen.)

(ERGÄNZUNG, 20.01.24: Der Soziologe Prof. Heinz Bude hat zur gesellschaftlichen Entwicklung in einer TV-Vorlesung mal folgenden Satz gesagt, den ich bemerkenswert fand:

"Es wird alles besser und schlechter zur gleichen Zeit.")

15.1.24

Für Demokratie - Gegen Rechtsextremismus

 Heute findet in meiner Stadt eine große Demo pro Demokratie statt.

Die ist auch dringend notwendig. Denn Gegner der Demokratie haben Zulauf.

Ich kann mich nur wiederholen: 

Lasst uns den Diskurs, das "agenda setting", nicht von den Rechten aufdrängen.

Lasst uns über die wirklich wichtigen Themen reden.

Davon gibt es schließlich mehr als genug.