1.11.24

Wie sich das Männer- und Väterbild gewandelt hat

Vor einigen Jahren ließ ich alte Super-8-Aufnahmen aus meiner Kindheit digitalisieren.

Darauf sah man meinen Vater, wie er mich, als einjährigen Stöpsel, vor Freude in die Luft wirft. Das Gleiche hat er später mit meiner Schwester getan.

Mein Vater wickelte uns, kochte, kaufte ein, organisierte Urlaube. Und viel mehr. Das war in den 1980er-Jahren bei Weitem noch nicht selbstverständlich.

Neulich war ich Samstag morgens schwimmen. Im Nichtschwimmerbecken befassten sich Väter mit ihren Kindern. Sie brachten ihnen Schwimmen bei, ließen sie rutschen.

Heute saß ich im Café. Ein Vater trug seinen Sohn bis zum Auto. Mir kamen fast die Tränen. Weil es mich an meinen eigenen Vater erinnerte.

Ich weiß nicht, ob ich ein guter Vater wäre. Ich lebe alleine, und werde demnächst in eine andere Stadt ziehen. Geprägt bin ich durch die 1990er-Jahre, meine Jugend. Damals, in der Schule, galt als starker Kerl, wer gut in Sport war und das große Wort führte. Ich war nicht gut in Sport, mein Lieblingsfach war Deutsch. Deshalb war ich Außenseiter.

Ist das heute anders?

Ich möchte noch ein Beispiel geben. 2004 besuchte ich ein Fußball-Zweitligaspiel. Ich glaube, es war Duisburg gegen Aachen. Plötzlich setzten laute, homophobe Gesänge ein.

So etwas gibt es heute hoffentlich nicht mehr in der Form. In der Fußball-Bundesliga der Männer, so las ich heute auf SPIEGEL ONLINE, wird Homophobie zunehmend weniger akzeptiert. Es sei an der Zeit, dass sich ein Spieler als homosexuell outet. Auch im Männer- und Machosport Fußball hat sich somit einiges gewandelt. Der Erfolg der Frauen-Fußball-Nationalmannschaft wird dazu seinen Beitrag geleistet haben.

Ich gebe es offen zu. Ich gehöre zu den Männern, die manchmal an ihrem „Mann-Sein“ zweifeln. Die nicht wissen, ob das, was sie gerade tun, nun „typisch männlich“ ist. Als Kind war Rauchen für mich das verwegen-männlichste, was ich mir vorstellen konnte. Rauchen ist dumm und ungesund. Aber ich kann nicht von den Glimmstängeln lassen. Vielleicht, weil ich – als 43-jähriger Mann - von einem falschen, überholten Männlichkeitsbild der Vergangenheit geprägt bin? Ich weiß es nicht. Mein Vater war jedenfalls schon in den 1980ern fast so modern, wie heutige Väter.

Ich versuche, ein moderner, aufgeklärter Mann zu sein. Und sehe immer wieder gerne Väter, die sich um ihre Töchter und Söhne kümmern. Weil das das Beste ist, was ein Mann tun kann. 

Fürsorglich sein. 

18.10.24

Die Songs meines Lebens: The Bee Gees – Jumbo (1968)

 Diesen Song kenne ich schon seit meiner frühen Kindheit. Er war auf einem Polydor-Sampler namens „Schlagerernte `68“, den meine Oma besaß. Vermutlich hatten mein Vater oder meine Tante die Platte anno `68 gekauft.

In dem Song, den man remastered auch auf YouTube findet, geht es um einen Vater, der seinem Sohn am Bett „Gute Nacht“ sagt. Barry Gibb singt: „Tomorrow you can / climb a mountain / sail a sail boat / through a fountain.“

Der Titel ist, wie viele Songs der 1950er und 1960er, mit zwei Minuten und elf Sekunden extrem kurz. Auf dem gleichen Sampler findet man auch eine Perle wie „Poochy“ von Wonderland, einer seltenen Kollaboration von Achim Reichel mit dem Orchester von James Last.

1.10.24

Warum ich mir um die Demokratie in Europa Sorgen mache

Sie heißen Orban, Le Pen, Wilders, Meloni, Kickl oder Höcke.

Und sie sind der Grund, warum Europa nach rechts rückt.

Ich mache mir Sorgen. Sorgen, dass unsere liberalen Demokratien in Europa Schaden nehmen können.

Dass die Freiheiten, die wir im Rahmen der EU genießen, eingeschränkt werden.

Dass Minderheiten, seien es Migranten, Juden, Muslime, Schwarze, LGBTQI+-Menschen, oder wer auch immer, ausgegrenzt werden.

Lassen wir nicht zu, dass Frieden und Freiheit in der EU beschnitten werden.

Feiern wir das Leben. Feiern wir die Vielfalt. Feiern wir unseren freien Kontinent.

26.9.24

War „Rot-Grün“ ein Projekt? Der Vergleich mit der „Ampel“

Als 1998 die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder gewählt wurde, war ich, wie viele junge Menschen, voller Hoffnung.

Die Wahl fand wenige Wochen vor meinem 18. Geburtstag statt. Wählen durfte ich noch nicht.

Ich verband mit der Abwahl Helmut Kohls einen grundsätzlichen Neuanfang auf vielen Politikfeldern.

Wirtschaftlich sah es damals schlecht aus. Die Arbeitslosigkeit war hoch und stieg weiter, ebenso die Staatsverschuldung. Das „Bündnis für Arbeit“ von Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern (als Vorbild diente hier die „Konzertierte Aktion“ der 1960er-/1970er-Jahre) war gerade gescheitert. „Reformstau“ war ein geflügeltes Wort. Auch gesellschafts- und umweltpolitisch ging nichts voran.

Schröders Regierung geriet bald nach Amtsantritt in Turbulenzen. Es fing an mit dem frühen Rücktritt von Oskar Lafontaine (SPD) als Bundesfinanzminister. Es folgten der Kosovokrieg und der NATO-Angriff auf Jugoslawien, was wiederum die Grünen in moralische Turbulenzen stürzte. Viele Landtagswahlen gingen verloren.

Erst – ausgerechnet – mit einem Auftritt des Bundeskanzlers bei „Wetten, dass…?“ und der Rettung des Holzmann-Konzerns wendete sich das Blatt. Auch die Spendenaffäre der Union half der rot-grünen Regierung in den Umfragen.

Die Zeiten wurden ruhiger. Der 11. September 2001 markierte für den Westen eine „Zeitenwende“ (um Olaf Scholz zu zitieren). Am Afghanistan-Krieg beteiligte sich die Bundeswehr, am Irakkrieg nicht. Beides geschah mit großer Zustimmung der deutschen Bevölkerung. 

Doch die Wirtschaftsdaten wurden nicht besser. 

Erwerbslosigkeit und Staatsverschuldung blieben hoch. Deutschland galt, wie zu den Spätzeiten der Ära Kohl, immer noch als „kranker Mann Europas“. Infolgedessen schob Kanzler Schröder seine „Agenda 2010“ an. Die in seiner eigenen Partei hochumstritten war. Er setzte sie durch. Nach der verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen setzte Schröder Neuwahlen im Bund an, die er knapp verlor, aber seine Partei immerhin in eine große Koalition rettete.

War „Rot-Grün“ nun ein Projekt?

Ich würde das so sehen: Ähnlich, wie jetzt unter der „Ampel“, wurden gesellschaftspolitisch Fortschritte erzielt. Das Staatsbürgerschaftsrecht wurde modernisiert, die Eingetragenen Lebenspartnerschaften wurden eingeführt, der Atomausstieg eingeleitet. Das als Beispiel. 

Doch die Probleme waren damals, ähnlich wie heute, die Wirtschaft und das Soziale. Die „Ampel“ heute hat, als Zusatzprobleme, noch den Streit um die Löcher im Bundeshaushalt, die Energiewende, sowie erstarkende rechtsextreme und populistische Konkurrenz. Das macht die Situation noch komplizierter als für "Rot-Grün" damals.

Wird die „Ampel“ 2025 weiter machen?

Der Wähler wird entscheiden.

Wir werden es sehen.

22.9.24

Warum mein Vater nicht wie Horst Schlämmer war. Oder: Frau Fleischfresser

Gestern las ich in der Zeitung ein Interview mit Hape Kerkeling. Darin gab er bekannt, die Journalistenkarikatur Horst Schlämmer wiederaufleben lassen zu wollen.

Meine Eltern lebten bescheiden. Meine Mutter war protestantisch-calvinistisch in Norddeutschland aufgewachsen. Mein Vater kaufte seine Anzüge grundsätzlich bei C&A. Unsere Möbel waren fast ausschließlich von IKEA. Ich erinnere mich an stundenlange, streitumwobene Aufbauaktionen.

Nach dem Hausbau Mitte der Neunzehnachtziger hatten meine Eltern so wenig Geld, dass meine Mutter mir die Haare schnitt. Ich erzählte das, kindestypisch, freudig meinen Kindergärtnerinnen. Was sie sich wohl gedacht haben mögen? Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl brachte ich mein eigenes Essen in den Kindergarten mit, wenn es mal Hackfleisch, Steinpilze, Pfifferlinge oder Milch gab. So konsequent war meine Mutter.

Außerdem fuhren wir regelmäßig zu Frau Fleischfresser. Frau Fleischfresser (sie hieß wirklich so) hatte zwei ältere Söhne. Deren Kleidung musste ich auftragen. Die Pullover kratzten, die Hosen waren zu weit. Ich mochte das nicht. Aber so war das damals. Die Musik der Achtziger liebe ich bis heute heiß und innig. Aber ich verkläre diese Zeit nicht. Vieles war grau. Und auch politisch war Einiges los. Erst 1989 entspannte sich die Lage.

Um auf Horst Schlämmer zurück zu kommen: Die Figur ist, das schrieb ich bereits einmal, so lustig, dass es weh tut. Aber Journalisten sind nicht so. Auch Lokalredakteure nicht. Ich hatte, trotz aller Konflikte, die ich mit meinem Vater hatte, ein gutes Verhältnis zu ihm.

Und ich vermisse ihn und meine Mutter sehr. Letzte Nacht habe ich von ihnen geträumt.

Ich werde sie nie mehr wieder sehen.