Gerade eben sah ich im TV eine Dokumentation über Willy Brandt. Ich
kannte sie zwar schon, aber in mir entstand sofort der Wunsch, mal
wieder nach Bonn, der alten Bundeshauptstadt und seiner alten
Wirkungsstätte, zu fahren.
Als der ehemalige
SPD-Kanzler 1992 starb, war ich elf Jahre alt. Ich erinnere mich,
dass bei uns daheim der „SPIEGEL“ mit seinem Konterfei lag. Ich
fragte meinen Vater, ob er traurig sei, dass Willy Brandt gestorben
sei, und er erwiderte, ja, da sei er traurig.
Später erzählte er
mir, wie sie 1972 „Willy wählen“ - Plakate aus den Fenstern
ihres Studentenwohnheims in Göttingen gehängt hatten. Göttingen
war ohnehin eine Hochburg der erfolgreichen Nach-68er-Politiker. Hier
studierten zu Zeiten meines Vaters auch Gerhard Schröder und Jürgen
Trittin.
Bei allen
Widersprüchen, die diese Aufbruchs-Generation mit sich trägt. Da
war zum Beispiel der Terrorismus der RAF-Jahre, der ja auch eine der
Folgen der kulturellen Revolution von „1968“ war.
Als ich in Frankfurt
studierte, war ich einmal auf den Spuren des von der RAF ermordeten
Ex-Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen. Der stammte aus Essen, wo
auch ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Ich fuhr nach Bad
Homburg. Und stand plötzlich an der Stelle, an der er 1989 gestorben
war. Dort stand eine Gedenkstätte mit einem Kranz des damals noch
lebenden Ex-Kanzlers Helmut Kohl.
Ich bin nicht
dorthin gefahren, weil ich mit den Ideen der terroristischen
Verbrecher sympathisierte.
Im Gegenteil. Ich wollte
verstehen.
Ich wollte
verstehen, wie die alte Bundesrepublik vor 1989, in der ich
aufgewachsen bin, tickte. Ich hatte die Filme
„Todesspiel“ von Heinrich Breloer und „Black Box BRD“ von
Andreas Veiel gesehen. Letzterer beleuchtet die Leben von Alfred
Herrhausen und des Terroristen Wolfgang Grams parallel. Und ich war
tief erschüttert.
Um nun auf meinen
Vater zurück zu kommen, den von der demokratischen Seite der
Nach-68er-Bewegung geprägten SPD-Anhänger und kritischen
Journalisten, der er immer war - es gibt Vieles, was ich meiner
Elterngeneration vorwerfen kann.
Aber eines nicht:
Sie wollten es
besser machen, als ihre eigene Elterngeneration. Sie wollten mit den
Schatten der Vergangenheit aufräumen und sich davon demokratisch
distanzieren.
Das rechne ich ihnen
hoch an.