2.9.24

Warum ich für „Protestwähler“ kein Verständnis habe

Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind vorbei. Wie erwartet, werden die Rechten im Erfurter Landtag stärkste Partei. In Sachsen liegen sie nur knapp hinter den Konservativen.

Was bedeutet dieses Wahlergebnis nun für diese Bundesländer und die Bundespolitik?

Auf Landesebene zunächst einmal, dass eine Regierungsbildung schwierig wird. An Sahra Wagenknechts neuer Partei geht möglicherweise in beiden Bundesländern kein Weg vorbei. Problem: Diese Partei hat weder Personal, noch Programm, um Landespolitik zu betreiben.

Ein Scheitern möglicher Koalitionsverhandlungen halte ich daher für möglich bis wahrscheinlich.

Im Bund? Die Ampel wird wohl weiterregieren. Was bleibt ihr auch übrig. Und wenn jemand über die Politik in Deutschland meckert, der muss Wählerschelte betreiben. Denn die Menschen selbst haben dieses Ergebnis herbei gewählt.

Dann müssen sie auch mit den Konsequenzen leben.

23.8.24

Ein Jahr vor der Bundestagswahl: Gedankenspiele

In der Zeitung las ich heute, dass Union und Grüne die Idee einer schwarz-grünen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl 2025 durchspielen.

Hendrik Wüst aus NRW könnte sich das vorstellen. Markus Söder aus Bayern eher nicht. Auch in der Grünenspitze machen einige der Union Avancen, nachdem man dort die „Ampel“-Regierung als „Übergangskoalition“ abqualifiziert hat.

Das Problem: Wenn heute Bundestagswahl wäre, würde es für eine klassische Zweierkoalition nicht reichen. Möglicherweise gar nicht mehr.

Ich hatte hier ja schon nach der Europawahl geschrieben, dass mich die Mehrheitsverhältnisse bei dieser Wahl an „Weimar“ erinnerten. Natürlich ist unsere Demokratie gefestigter als damals. Aber das heißt nicht, dass es – wie in früheren Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg – eindeutige Mehrheitsverhältnisse gibt.

Ich glaube, die derzeit im Bundestag sitzenden demokratischen Parteien haben die Veränderungen, das volatile Wahlverhalten, noch gar nicht realisiert. Das zeigt die Debatte um „schwarz-grün“.

Im Osten sind in Umfragen rechtsextreme (AfD) und populistische (BSW) Parteien stark. Gestern las ich die aktuellen Umfragen im Teletext der ARD: Wenn heute Wahl in Sachsen wäre, müsste die Union dort – nach meiner Rechnung – zwangsläufig eine Koalition mit dem BSW eingehen. In Thüringen müsste sie zudem noch die SPD mit ins Boot holen.

Im Westen sind die Extreme zwar noch nicht so stark. Aber auch dort ist es für klassische Lagerkoalitionen schwierig. In NRW, meinem Heimat-Bundesland, hat es seit 2005 quasi nach jeder Landtagswahl einen Regierungswechsel gegeben.

Ein Jahr ist in unserer Mediendemokratie eine lange Zeit. Es macht also wenig Sinn, jetzt schon über die Zeit danach zu spekulieren.

22.7.24

Demokratie, ein Selbstbedienungsladen?

Um die Frage gleich zu beantworten: nein, das ist sie nicht. Demokratie lebt von Demokraten. 

Die "Weimarer Republik" ist nicht nur, aber vor Allem, daran gescheitert. Momentan ist viel die Rede von einer "Krise der Demokratie". Manche sehen sie angesichts der gestärkten Ränder gar in Gefahr.

Die Krise begann schon vor langer Zeit, quasi in der Phase nach der Wiedervereinigung. Der damalige Bundespräsident sprach von "Machtvergessenen" und "Machtversessenen" und meinte damit seinen Parteifreund, den Bundeskanzler.

Von "Politikverdrossenheit" war von nun an die Rede. Später wurde daraus Politikverachtung. Und noch später PolitikERverachtung. Mit den Folgen, die wir heute sehen.

Vielleicht haben viele Wähler eine falsche Vorstellung. Sie glauben, mit dem Kreuzchen in der Wahlkabine ist der Dienst an der Demokratie getan. Und dann habe die Demokratie, die Politik, ihnen zu dienen.

Aber es bedarf noch viel mehr, um das demokratische Gemeinwesen zu unterstützen. Sei es ehrenamtliche Arbeit, sei es das Engagement in Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen. Sei es...

Das Verhältniswahlrecht, das in Deutschland gilt, schafft die Voraussetzung für Koalitionsregierungen. Damit diese Regierungen funktionieren, muss man Kompromisse schließen. Zwangsläufig. 

Wenn Politik und Bevölkerung das nicht mehr wollen, stattdessen "klare Verhältnisse", dann muss man ein Mehrheitswahlrecht einführen. Das allerdings ist schon einmal, in den 1960er-Jahren, gescheitert.

Dass Kompromisse elementar sind, wird bei der aktuellen Bundesregierung deutlich. Mal stimmt Koalitionspartner 1 mit Koalitionspartner 2 überein, und Koalitionspartner 3 ist dagegen. Mal sind sie alle für oder gegen irgend etwas. Mal...

Jedenfalls: Einig sind sie sich selten. Der Kompromiss wird, angesichts eines immer volatiler werdenden Wahlverhaltens, in Zukunft noch viel virulenter werden, als er es jemals bisher war. 

Die Lager, Stammwählerschaften, Blöcke, Ideen, Ideologien lösen sich auf.   

10.7.24

Die 90er: Weshalb ich froh bin, dass sie vorbei sind

 Momentan grassiert - nach dem 80er-Revival - das 90er-Fieber.

Überall findet man "90s-Partys". Im Radio leben die Hits von damals auf. Und die heutigen Mittvierziger schwärmen von Tamagotchi, Lavalampe und Loveparadebesuch.

Wenn ich an die Neunziger zurückdenke, war das zwar ebenso meine Jugendzeit. Aber ich erinnere mich nur an Schule, Schule, lange Sommerferien und Urlaube erst mit, am Ende ohne Eltern.

Im TV flimmerten in den Jugendzimmern "VIVA" und MTV. Das hatte ich nicht. Alle wollten irgendwann ins Internet, immerhin, das hatte ich dann auch.

Die Loveparade ist, als Technohasser, komplett an mir vorbei gegangen. Immerhin erinnere ich mich an einen Besuch in Köln beim dortigen "Ringfest" und der "Popkomm" (gibt es beides auch schon lange nicht mehr). Die Stadt war, ähnlich wie beim Karneval, brechenvoll, eine Bühne stand neben der Anderen.

Und die Musik? Spontan erinnere ich mich an Blümchen, Ace of Base, Scooter. Musik, die ich schon damals zum Kotzen fand. Und auch heute schnell umschalte, wenn sie irgendwann dann dann doch mal wieder im Radio läuft.

In den Nachrichten, die ich auch damals schon intensiv verfolgte, dominierte der Jugoslawienkrieg. So toll und unbeschwert waren die 90er also mitnichten.

Im Jahr 2000 machte ich Abitur. Ich besuchte im selben Sommer mit meiner Mutter die Expo 2000 in Hannover. Und ein Jahr später drehte sich dann alles um den Terror des 11. September.

Da waren die 90er dann endgültig vorbei.

Warum mein Studium, Alles in Allem, eine Enttäuschung war

Im Frühjahr 2001 – ich war noch im Zivildienst – wollte mein Vater mich auf mein Studium vorbereiten. Ich sollte und werde studieren, dafür bestand für ihn und meine Mutter kein Zweifel.

Er fuhr also mit mir im tiefsten Schnee nach Göttingen, seiner alten Universitätsstadt, in der er in den 1970ern sein Diplom bestanden hatte.

Er lief mit mir begeistert über den Campus, las die Vorlesungsverzeichnisse, und rief laut: „Schau mal, dieser Professor war schon vor 30 Jahren hier!“

Er fuhr mit mir begeistert zu seinem alten Wohnheim und erzählte, dass sie hier 1972 „Willy Wählen!“-Plakate aus den Fenstern gehängt hatten.

Er ging mit mir begeistert in seine alte, schummerige Studentenkneipe und lobte seine Studienzeit in den höchsten Tönen.

Das sei eine tolle Zeit gewesen, die werde es auch für mich werden, ich werde viele neue Leute kennen lernen, und ich werde diese Zeit genießen.

Ich wollte nur weg.

Aber was blieb mir übrig? Meine Kindheitswünsche in Sachen Beruf hatte ich längst vergessen.

Und so schrieb ich mich daheim für eine Dreifächerkombination auf Magister ein.

Und wurde schwer enttäuscht.

Nach drei Wochen gab ich auf, und erlebte meine erste Sinnkrise. Erst zwei Jahre später konnte ich mich wieder ins Unileben einfügen.

Ich wollte aber weg, zurück nach Frankfurt, wo ich zwei Jahre meiner Kindheit verbracht hatte. Natürlich ins Wohnheim. Das hatte mein Vater mir ja so traumhaft dargestellt.

Das Ergebnis?

Ein-, zweimal im Jahr gab es ein gemeinsames Flurkochen. Ansonsten gingen die Bewohner - aus ganz Deutschland, und aus dem In- und Ausland kommend – jeder so ihrer Wege.

Eines Tages zog ein neuer Bewohner aus Berlin ein. Er studierte – welch Glück – auch Soziologie. Wir saßen Abends bei einem Glas Wein zusammen. Ich war froh, endlich jemanden gefunden zu haben.

Einige Wochen später war er zurück in seine Heimat gezogen.

Den Namen, und auch die Namen der anderen Bewohner, habe ich längst vergessen.

Schade.