7.9.24

Das müsst Ihr wissen, wenn Ihr…

 ...Politikwissenschaften studieren wollt.

Vorweg: Ich habe 2008 meinen Magisterabschluss gemacht, also noch nach dem „alten“ System vor Bachelor/Master studiert. Zudem hatte ich zwei Nebenfächer belegt, was so, so weit ich weiß, heute auch nicht mehr geht.

Deswegen kann ich zur Struktur und zu formalen Anforderungen des modernen sozialwissenschaftlichen Studiums (BA/MA) nichts sagen.

Aber vielleicht etwas zu den Inhalten.

Man lernt z. B. die drei Begriffe für „Politik(wissenschaften)“ im Englischen voneinander, zu unterscheiden: Politics, policy und polity.

Oder man befasst sich mit den „großen Vordenkern“ wie Max Weber (der war allerdings Soziologe, was mein Nebenfach war), Niklas Luhmann, Theodor Adorno oder Max Horkheimer. Also „Politische Theorie“, die für manche etwas trocken erscheinen mag. Aber sie gehört dazu.

Ein anderes Feld sind die „Internationalen Beziehungen“. Ich hatte z. B. eine Professorin, die sich in den Siebziger und Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem damals zeitgenössischen Thema „Gewerkschaften in Osteuropa“, insbesondere Polen, beschäftigt hatte. Durch die Wende 1989/1990 war das eher ein Thema für Historiker geworden. Und so hatte sie sich später allgemein mit europäischen, bzw. osteuropäischen, Themen beschäftigt.

Woran man auch nicht vorbei kommt, sind die „Methoden der Sozialwissenschaft“. Dafür braucht man Mathematik. Genauer gesagt, Wahrscheinlichkeitsrechnung bzw. Stochastik. Was ich in der Schule nicht durchgenommen hatte (wir hatten Lineare Algebra im Abitur). Deswegen habe ich mich mit „Datenerhebung“ und „Datenanalyse“ (so die Titel der damaligen zwei Pflichtkurse) recht schwer getan. Aber wenn man einmal in der „Empirischen Sozialforschung“ drin ist, kapiert man es. Wichtig ist: Rechnen im „klassischen Sinne“ musste ich nicht. Wichtig sind heutzutage auch Kenntnisse in Statistik-PC-Programmen wie „SPSS“.

Es gibt auch Kurse etwa zu „Politischen Systemen“ bzw. „Vergleichende Politiklehre“, zur Parteienforschung, zur Europäischen Union (bzw. Integration), medienwissenschaftliche Fragestellungen, oder philosophisch angehauchte Themen. Das hängt immer von den Schwerpunkten der Professoren an der jeweiligen Universität ab.

Einen Fehler darf man aber nicht machen: Man darf nicht glauben, im Fach „Politikwissenschaft“ geht es vorrangig um aktuelle Politik. Darum geht es am Rande. Meist erst dann, wenn man bereits fortgeschritten ist. Dann kann man Politik besser verstehen und einordnen.

Wichtig sind gute Englischkenntnisse, Mathematikkenntnisse, Interesse an Grundsatzdiskussionen, sowie ein breites Allgemeinwissen und ein gutes schriftliches und mündliches Ausdrucksvermögen . Wenn Ihr das mitbringt, und Euch für das Studium interessiert, setzt Euch einfach mal in eine Vorlesung an der Uni Eurer Wahl. Schaut Euch in Vorbereitung entsprechende YouTube- oder TikTok-Videos an. Aber macht davon nicht Eure Entscheidung abhängig.

Das Studium muss sich für Euch gut und sinnvoll anfühlen. Für niemanden sonst.

2.9.24

Warum ich für „Protestwähler“ kein Verständnis habe

Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind vorbei. Wie erwartet, werden die Rechten im Erfurter Landtag stärkste Partei. In Sachsen liegen sie nur knapp hinter den Konservativen.

Was bedeutet dieses Wahlergebnis nun für diese Bundesländer und die Bundespolitik?

Auf Landesebene zunächst einmal, dass eine Regierungsbildung schwierig wird. An Sahra Wagenknechts neuer Partei geht möglicherweise in beiden Bundesländern kein Weg vorbei. Problem: Diese Partei hat weder Personal, noch Programm, um Landespolitik zu betreiben.

Ein Scheitern möglicher Koalitionsverhandlungen halte ich daher für möglich bis wahrscheinlich.

Im Bund? Die Ampel wird wohl weiterregieren. Was bleibt ihr auch übrig. Und wenn jemand über die Politik in Deutschland meckert, der muss Wählerschelte betreiben. Denn die Menschen selbst haben dieses Ergebnis herbei gewählt.

Dann müssen sie auch mit den Konsequenzen leben.

23.8.24

Ein Jahr vor der Bundestagswahl: Gedankenspiele

In der Zeitung las ich heute, dass Union und Grüne die Idee einer schwarz-grünen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl 2025 durchspielen.

Hendrik Wüst aus NRW könnte sich das vorstellen. Markus Söder aus Bayern eher nicht. Auch in der Grünenspitze machen einige der Union Avancen, nachdem man dort die „Ampel“-Regierung als „Übergangskoalition“ abqualifiziert hat.

Das Problem: Wenn heute Bundestagswahl wäre, würde es für eine klassische Zweierkoalition nicht reichen. Möglicherweise gar nicht mehr.

Ich hatte hier ja schon nach der Europawahl geschrieben, dass mich die Mehrheitsverhältnisse bei dieser Wahl an „Weimar“ erinnerten. Natürlich ist unsere Demokratie gefestigter als damals. Aber das heißt nicht, dass es – wie in früheren Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg – eindeutige Mehrheitsverhältnisse gibt.

Ich glaube, die derzeit im Bundestag sitzenden demokratischen Parteien haben die Veränderungen, das volatile Wahlverhalten, noch gar nicht realisiert. Das zeigt die Debatte um „schwarz-grün“.

Im Osten sind in Umfragen rechtsextreme (AfD) und populistische (BSW) Parteien stark. Gestern las ich die aktuellen Umfragen im Teletext der ARD: Wenn heute Wahl in Sachsen wäre, müsste die Union dort – nach meiner Rechnung – zwangsläufig eine Koalition mit dem BSW eingehen. In Thüringen müsste sie zudem noch die SPD mit ins Boot holen.

Im Westen sind die Extreme zwar noch nicht so stark. Aber auch dort ist es für klassische Lagerkoalitionen schwierig. In NRW, meinem Heimat-Bundesland, hat es seit 2005 quasi nach jeder Landtagswahl einen Regierungswechsel gegeben.

Ein Jahr ist in unserer Mediendemokratie eine lange Zeit. Es macht also wenig Sinn, jetzt schon über die Zeit danach zu spekulieren.

22.7.24

Demokratie, ein Selbstbedienungsladen?

Um die Frage gleich zu beantworten: nein, das ist sie nicht. Demokratie lebt von Demokraten. 

Die "Weimarer Republik" ist nicht nur, aber vor Allem, daran gescheitert. Momentan ist viel die Rede von einer "Krise der Demokratie". Manche sehen sie angesichts der gestärkten Ränder gar in Gefahr.

Die Krise begann schon vor langer Zeit, quasi in der Phase nach der Wiedervereinigung. Der damalige Bundespräsident sprach von "Machtvergessenen" und "Machtversessenen" und meinte damit seinen Parteifreund, den Bundeskanzler.

Von "Politikverdrossenheit" war von nun an die Rede. Später wurde daraus Politikverachtung. Und noch später PolitikERverachtung. Mit den Folgen, die wir heute sehen.

Vielleicht haben viele Wähler eine falsche Vorstellung. Sie glauben, mit dem Kreuzchen in der Wahlkabine ist der Dienst an der Demokratie getan. Und dann habe die Demokratie, die Politik, ihnen zu dienen.

Aber es bedarf noch viel mehr, um das demokratische Gemeinwesen zu unterstützen. Sei es ehrenamtliche Arbeit, sei es das Engagement in Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen. Sei es...

Das Verhältniswahlrecht, das in Deutschland gilt, schafft die Voraussetzung für Koalitionsregierungen. Damit diese Regierungen funktionieren, muss man Kompromisse schließen. Zwangsläufig. 

Wenn Politik und Bevölkerung das nicht mehr wollen, stattdessen "klare Verhältnisse", dann muss man ein Mehrheitswahlrecht einführen. Das allerdings ist schon einmal, in den 1960er-Jahren, gescheitert.

Dass Kompromisse elementar sind, wird bei der aktuellen Bundesregierung deutlich. Mal stimmt Koalitionspartner 1 mit Koalitionspartner 2 überein, und Koalitionspartner 3 ist dagegen. Mal sind sie alle für oder gegen irgend etwas. Mal...

Jedenfalls: Einig sind sie sich selten. Der Kompromiss wird, angesichts eines immer volatiler werdenden Wahlverhaltens, in Zukunft noch viel virulenter werden, als er es jemals bisher war. 

Die Lager, Stammwählerschaften, Blöcke, Ideen, Ideologien lösen sich auf.   

10.7.24

Die 90er: Weshalb ich froh bin, dass sie vorbei sind

 Momentan grassiert - nach dem 80er-Revival - das 90er-Fieber.

Überall findet man "90s-Partys". Im Radio leben die Hits von damals auf. Und die heutigen Mittvierziger schwärmen von Tamagotchi, Lavalampe und Loveparadebesuch.

Wenn ich an die Neunziger zurückdenke, war das zwar ebenso meine Jugendzeit. Aber ich erinnere mich nur an Schule, Schule, lange Sommerferien und Urlaube erst mit, am Ende ohne Eltern.

Im TV flimmerten in den Jugendzimmern "VIVA" und MTV. Das hatte ich nicht. Alle wollten irgendwann ins Internet, immerhin, das hatte ich dann auch.

Die Loveparade ist, als Technohasser, komplett an mir vorbei gegangen. Immerhin erinnere ich mich an einen Besuch in Köln beim dortigen "Ringfest" und der "Popkomm" (gibt es beides auch schon lange nicht mehr). Die Stadt war, ähnlich wie beim Karneval, brechenvoll, eine Bühne stand neben der Anderen.

Und die Musik? Spontan erinnere ich mich an Blümchen, Ace of Base, Scooter. Musik, die ich schon damals zum Kotzen fand. Und auch heute schnell umschalte, wenn sie irgendwann dann dann doch mal wieder im Radio läuft.

In den Nachrichten, die ich auch damals schon intensiv verfolgte, dominierte der Jugoslawienkrieg. So toll und unbeschwert waren die 90er also mitnichten.

Im Jahr 2000 machte ich Abitur. Ich besuchte im selben Sommer mit meiner Mutter die Expo 2000 in Hannover. Und ein Jahr später drehte sich dann alles um den Terror des 11. September.

Da waren die 90er dann endgültig vorbei.