30.6.25

Back to the 90s – Die neue alte Union

Heute Abend sah ich den neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) im ARD-Interview. Mir kam es so vor, als seien die Neunziger zurück. Weimer tat das, was die Linken bis Schröders Kanzlerschaft immer den Rechten vorwarfen:

Er „warf alles in einen Topf“.

Konkret kritisierte er vermeintliche „Wokeness“. Im gleichen Atemzug versprach er, US-Monopol-Technologiekonzerne zu besteuern und warf ihnen Rechtslastigkeit vor. Motto: „Zuckerbrot und Peitsche“ für die Kritiker.

Weimer unterscheidet nicht zwischen linker und rechter Gesellschaftskritik. Für ihn, der sich für einen aufgeklärten, liberalen Bildungsbürger hält, ist das alles eine Soße, was von Rechtsaußen (AfD) oder Linksaußen (Linkspartei) kommt. Hauptsache, die von ihm verehrte „bürgerliche Mitte“ (die ich hier schon einmal demontiert habe) ist stark und regiert.

Auch die Wirtschaftspolitik (Merz/Linnemann/Reiche) versprüht den Duft einer längst vergangenen Epoche. Die Regierung - also auch die SPD! – will ans Bürgergeld, die Rente und an die Lebensarbeitszeit ran.

Bürgergeld soll durch „Grundsicherung“ ersetzt werden, das Rentenniveau - so implizieren es konservative Politiker – kann nicht so bleiben, weil wir ja alle immer älter werden, und weil es von uns Älteren ja immer mehr gibt. Und die Lebensarbeitszeit, das fordern unionsnahe Wirtschaftsverbände schon lange, müsste dann eigentlich doch schon irgendwie, irgendwann auf 70 steigen.

Als wären die Neunziger mit ihrem Deregulierungs-, Privatisierungs-, und Kürzungswahn wieder da.

Schöne Aussichten.

11.6.25

Warum die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann. Und warum die Europäer sich nicht selbst verteidigen werden können.

Seien wir ehrlich: Wir – der Westen - können Kiew noch so viele Waffen liefern – den Krieg gegen Russland wird das Land nicht gewinnen können. Wenn die Amerikaner aufhören sollten, die Ukraine zu unterstützen – und das ist bei Donald Trumps Administration jederzeit zu befürchten -, können wir Europäer das nicht kompensieren. So leid es mir um das gebeutelte Volk der Ukraine tut, und so sehr es mir missfällt, dass Putin damit zeigen könnte, dass man Grenzen in Europa gewaltsam verschieben kann.

Mit Blick auf unsere Selbstverteidigung in Europa ist Ähnliches zu konstatieren. Selbst, wenn Franzosen und Briten uns Rest-Europäern ihre Nuklearwaffen zur Verfügung stellen sollten, und selbst, wenn wir Rest-Europäer massiv aufrüsten – gegen die Nuklearmächte USA und Russland ist das ein, sorry, „Vogelschiss“.

Deswegen finde ich den Ansatz des „Manifests“ der SPD-Linken Stegner, Mützenich, Walter-Borjans und Anderer richtig. Es bringt nichts, den Kalten Krieg im 21. Jahrhundert neu zu erklären. Es bringt auch nichts, jedem noch so absurden verteidigungspolitischen Ziel hinterher zu rennen.

Wir müssen neue Wege finden. In einer Welt, die politisch, wirtschaftlich und militärisch völlig unübersichtlich geworden ist. Wo das, was gestern noch galt, heute Makulatur sein kann. 

31.5.25

Warum Hass, Aus- und Abgrenzung schlimm sind

Meinen Eltern war Bildung wichtig. 

Sie besuchten mit mir das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Wir wandelten auf Goethes und Schillers Spuren. Wir besuchten den alten Bundestag in Bonn und den neuen Bundestag in Berlin. Als ich das britische Parlament besuchte, begleitete mich mein Vater. Wir besuchten Konrad Adenauers Geburtshaus und das Haus der Geschichte in Bonn. 

Ich bekam Bücher zur deutschen und internationalen Geschichte geschenkt. Mir fehlten die ersten zwei Jahre Geschichte in der Schule durch meinen Umzug von Hessen nach NRW. Später war ich auf den Spuren von Willy Brandt in Lübeck und Bachs Spuren in Leipzig.

Im Religionsunterricht lernten wir über das Judentum und den Islam. Wir wurden aufgeklärt über das Rauchen, über Drogen, über Sekten, über Rechtsextremismus unter Jugendlichen. Im Deutschunterricht lernten wir Goethe, Bertolt Brecht und Thomas Mann kennen, und die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden. 

Deswegen versuche ich, keinen Hass zu empfinden. Auch, wenn ich manchmal einsam und verzweifelt bin.

Ich hasse keine Juden oder Muslime. Ich hasse auch keine Amerikaner wegen Trump, oder Russen wegen Putin. Ich hasse keine Frauen, und hasse niemanden wegen seiner Sexualität oder wegen seines sozialen Status. Ich bin der Meinung, wir sollten Flüchtlinge menschlich behandeln.

Wir sollten stolz sein, dass wir in Deutschland - trotz AfD - ein "Sehnsuchtsort" geworden sind, wie es einmal der ehemalige Außenminister Gabriel formuliert hat. 

Deswegen habe ich auch Magenschmerzen bei der Politik der "geschlossenen Grenzen". Es gilt auf EU-Ebene das "Schengener Abkommen". Das regelt den freien Verkehr von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital. EU-Recht bricht nationales Recht. Wenn nun alle Binnenstaaten der Union anfangen würden, Grenzkontrollen einzuführen, ist das Abkommen tot.

Dazu sollten wir es nicht kommen lassen.


17.5.25

Warum es „die Mitte“ in der Politik nicht gibt

Alle reden von der „Mitte“. Beziehungsweise, von den „Parteien der politischen Mitte“. In Abgrenzung zu Rechtsaußen und Linksaußen. Aber was ist das eigentlich? Gibt es diese Mitte überhaupt?

Gehen wir in der Zeit zurück. Unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) gab es den Begriff noch nicht.

Das erste Mal, dass „Die Mitte“ als Wahlkampfslogan verwendet wurde, das war unter der Regentschaft von Gerhard Schröder von 1998 bis 2005. Schröders SPD-Kampa hatte den Begriff erfunden. Fortan stand er auch im Hintergrund neben dem SPD-Logo bei Auftritten des damaligen Kanzlers.

Angela Merkel (CDU) übernahm den Begriff dann einfach in ihrer Kanzlerschaft, als sie nach Schröder ins Amt kam. Auch bei ihren Auftritten stand auf der Wand fortan oft dieser Begriff. Irgendwann haben die Medien ihn einfach übernommen.

Im Zuge des Aufstiegs der AfD ist der Begriff erweitert worden. Nun ist von den „Parteien der demokratischen Mitte“ die Rede. Was den Begriff weder präzisiert, noch richtiger macht.

Ich würde folgende Begriffe (deutsch/englisch) verwenden:

Die Union würde ich als „rechts von der Mitte“ (centre-right) bezeichnen.

Die SPD als „links von der Mitte“ (centre-left).

Die Grünen als „ökologisch“ (left wing-ecological).

Die Linke als „linksaußen“ (far-left)

Die AfD als „rechtsaußen (far-right)

Die FDP als „rechtsliberal“ (right wing-liberal)

Das BSW würde ich als „linksnational“ (left wing-nationalist) bezeichnen. Diesen Begriff hat einmal ein Journalist vom „Tagesspiegel“ im TV verwendet. Ich finde ihn passend.

Aber genau „in der Mitte“ steht keine Partei.

Weil es sie nicht gibt.

Fazit: Die "Mitte“ ist ein politischer PR-Gag.

11.5.25

Gibt es eine Gesellschaft?

Einmal traf ich Christoph. Christoph arbeitete für einen der Großkonzerne im Ruhrgebiet.

Er sichtete und verwaltete für seinen Arbeitgeber große Mengen an Daten. Ich habe davon keine Ahnung.

Wir kamen auf das Thema „Gesellschaft“ zu sprechen. Er war der Meinung, eine Gesellschaft gebe es nicht – mehr. Die Menschen seien durch Medien, Internet, Smartphones, Algorithmen, Influencer und KI manipulierbar - geworden. Einen Zusammenhalt gebe es nicht - mehr.

Ich war schockiert. Was sollte ich ihm, als Sozial- und Geisteswissenschaftler, darauf antworten?

Neulich saß ich morgens in der S-Bahn. Ich sah mir die Fahrgäste an. Fünf Menschen saßen dort nebeneinander. Alle starrten schweigend auf ihr Smartphone. Da kamen mir Zweifel.

Was, wenn Christoph Recht hat? Dass wir alle beeinflussbar sind? Und dass es, wie Margaret Thatcher sagte, keine Gesellschaft, sondern nur Individuen gibt?

Ich glaube an eine Gesellschaft. Es gibt Dinge, die uns zusammenhalten. Und ich denke, es ist diesem Zusammenhalt nicht zuträglich, wenn wir gesellschaftliche Minderheiten schurigeln. Seien es sozial Schwache, Migranten, LGBTQI+-Menschen, oder jede andere Minderheit.

Der Faschismus – und ich benutze diesen Begriff bewusst – von AfD, Trump und Anderen in Europa und der Welt ist eine Gefahr für Minderheiten - und unsere Gesellschaften. Ich bin mir nicht sicher, ob die demokratischen Politiker des Westens das endgültig realisiert haben.

Meine Eltern waren von den Nach-68ern geprägt. Meine Mutter und wir Kinder nahmen den Namen des Vaters, aber die Religion der Mutter an. Meine Eltern lernten sich bei „Amnesty International“ kennen. Auch klassisch für die Gesellschaft der 1970er-Jahre.

Und die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts? Die 1970er sind lange vorbei. Meine Eltern sind tot. Ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen, dass es gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt.

Mehr kann ich nicht tun.