1.5.23

Warum Einkaufen keinen Spaß mehr macht, und was der 1. Mai bedeutet

Heute ist 1. Mai. Feiertag. Tag der Arbeit. Alle Geschäfte haben geschlossen.

Ich mache mir Gedanken ums „Shopping“. Und um diesen Tag.

„Früher“, als ich Kind war, war es etwas Besonderes, wenn man samstags in die Stadt fuhr und Einkaufen ging. Es ging zum Karstadt, Kaufhof oder Horten. Auch mal zu C&A oder Peek und Cloppenburg. Wir gingen zum Nordsee Fisch essen, und trugen unsere Tüten heim. Bis auf C&A sind alle diese Läden mittlerweile insolvent. Na ja, auch Nordsee gibt es noch.

Wenn ich heute durch unsere Innenstadt gehe, sehe ich viele Handyshops, 1-Euro-Läden und übergroße Woolworth-Filialen. Inhabergeführte Geschäfte gibt es so gut wie gar nicht mehr. In der Fußgängerzone meines Stadtteils macht jetzt die letzte, privat geführte Bäckerei dicht, wie ich diese Woche mit Bedauern feststellen musste.

Der Unterschied zu „früher“ ist ebenfalls, dass man jeden Tag Deutsche-Post-, Hermes-, oder UPS-Wagen durch die Straßen fahren, und in der zweiten Reihe parken, sieht. Die sind immer randvoll mit Päckchen und Paketen des großen US-Internetkaufhauses, das mit „A“ beginnt. Die Leute kaufen, offenbar seit der Corona-Pandemie verstärkt, meist nur noch online ein.

Wenn man unter der Woche in ein klassisches Kaufhaus der Firma „G.“ geht, ist es meist menschenleer. Und wenn man die Menschen in den großen, klassischen Malls beobachtet, erkennt man, dass die meisten keine Tüten bei sich tragen. Sondern nur bummeln. Das Geld sitzt offenbar nicht mehr so locker bei den Leuten.

Ist das nur bei mir im Ruhrgebiet so? Oder ist das auch so in reichen deutschen Städten wie München oder Hamburg? Ich weiß es nicht genau, habe Ähnliches aber in Frankfurt auf der Zeil beobachtet.

Um auf den Anfang zurück zu kommen: Corona, die Inflation, der geringe Lohnanstieg der letzten Jahrzehnte, sowie der Trend zum Singledasein, haben dazu geführt, dass die Leute sich mehr ins Private zurückziehen und weniger konsumieren. Deshalb sind Gemeinschaftserlebnisse wie der 1. Mai vielleicht so wichtig. Weil sie ein Gemeinschaftsgefühl zeigen, das im Jahr 2023 vielerorts verloren gegangen scheint.


28.4.23

Thadeusz und das Schema F

Gerade hörte ich auf der Website des größten deutschen Nachrichtenmagazins einen Podcast mit dem Talker Jörg Thadeusz. Der kommt aus dem Ruhrgebiet und arbeitet für verschiedene öffentlich-rechtliche Sender.

Seine Sendung „Thadeusz und die Beobachter“, in der er ausführlich mit Journalisten spricht, ist sehr gut. Wird nur leider eingestellt. Weniger originell ist sein Eins-zu-Eins-Talk. Denn Thadeusz befragt seine Gäste immer nach dem gleichen Schema. Erst führt er einen Monolog, und sagt: „Das ist so…und das ist so…und das ist so…“.

Dann wendet er sich seinem Gesprächspartner zu, und fragt: „Ist das so?“.

Immer der gleiche Einstieg. Also eine geschlossene Frage, auf die man theoretisch mit „ja“ oder „nein“ antworten könnte. Das macht sich im Fernsehen nur nicht so gut. Ich habe gelernt, solche Fragen bei Gesprächen zu vermeiden. Sonst bekommt man keine verwertbaren Antworten. Man will ja, dass der Gesprächspartner was erzählt, und nicht nur einsilbig reagiert.

Richtige Gespräche werden im Fernsehen ohnehin nicht (mehr) geführt. Leute wie Joachim Fuchsberger oder Alfred Biolek sind tot, und mit ihnen ist der vernünftige Spätabend-Talk gestorben. Die Nachmittags-Anbrüllorgien der 1990er Jahre im Privatfernsehen haben dem Genre fast den Todesstoß versetzt.

Mein Vater sah früher gerne „Zeil um Zehn“ und „B. trifft“. Als wir Satellit hatten, dann auch mal „3nach9“ oder „Riverboat“. Dort sitzen heute die immer gleichen Leute, die die immer gleichen Geschichten „von früher“ erzählen. Das Durchschnittsalter der Befragten ist parallel gestiegen zum Durchschnittsalter der Zuschauer. Jüngere schauen sich so was vermutlich gar nicht mehr an.

Das lineare Fernsehen stirbt aus? Wir werden es sehen.

19.4.23

„Widerliche Monster-Spinnen greifen an“

Bei mir in der Bude läuft gerade eine dicke Spinne an der Wand entlang. Das erinnert mich an den Film „Arachnophobia“, den ich irgendwann in den 1990ern gesehen habe.

Ich habe keine Angst vor Spinnen. Aber ich schaue auch nicht gerne Horrorfilme.

Nie habe ich als Jugendlicher verstanden, was gerade Jungs daran finden, sich möglichst grauenhafte und widerliche Filme anzusehen. Vermutlich, um ihre Männlichkeit zu zeigen. Pubertätsgehabe halt.

Ein Mitschüler erzählte irgendwann stolz, da war ich etwa 13, er habe sich daheim „Snuff-Videos“ angesehen. Das sind, oder waren, Filme, in denen angeblich tatsächlich jemand ermordet wurde.

Ich tat, als würde es mich interessieren. Dabei fand ich es nur abstoßend.

Vermutlich gibt es unter Jugendlichen heute andere Herausforderungen. Das Internetzeitalter stellt ganz andere Anforderungen, als die im Vergleich harmlosen VHS-Video-Zeiten, in denen ich aufwuchs.

Lehrer müssen sich heute in ihrem Schulalltag Dingen stellen, die sich die Lehrer zu meinen Schulzeiten vermutlich nicht mal in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen konnten.

Über Ostern bekam ich mit, dass die Bundesinnenministerin (selbstgedrehte und heruntergeladene) P*rn*videos von Kindern und Jugendlichen nicht mehr kriminalisieren will. Stattdessen sollen die Heranwachsenden aufgeklärt werden, solche Filme nicht zu verbreiten.

Ähnlich ist es mit der geplanten Teil-Legalisierung von Cannabis. Dabei geht es nicht darum, zu sagen, dass Kiffen harmlos ist, und das jeder tun sollte. Sondern Menschen über 18, die das konsumieren, sollen nicht mehr kriminalisiert werden.  

Fazit: Mit Verboten erreicht man oft weniger, als mit Aufklärung. Das war schon immer so. 

25.3.23

Warum der WDR die Helden des Westens nicht spielte

Eines vorweg: Ich zahle meine Rundfunkgebühren, und habe mich auch schon mal beim WDR beworben. Dennoch schreibe ich diesen Beitrag.

In den 1980ern und 1990ern feierten Herbert Grönemeyer (Bochum), BAP (Köln) und Marius Müller-Westernhagen (Düsseldorf) bundesweit große Erfolge. Selbst in der DDR.

Nur in ihrem Heimatbundesland, NRW, wurden sie konsequent nicht im Radio gespielt. Das machte der WDR schlichtweg nicht. War offenbar unter seinem Niveau. Stattdessen fanden die Macher in Köln, dass jemand wie der Niedersachse Heinz-Rudolf Kunze besser für den Westen passte. Der wurde, mit seinem Intellektuellenrock, gespielt.

Wenn man beispielsweise BAP hören wollte, musste man SWF3, den Hessischen oder gar Bayerischen Rundfunk hören (sofern man diese empfangen konnte). Auch in der DDR spielte sie DT64, und in Österreich Ö3.

Selbst heute spielt nur WDR 4 gelegentlich die alten Songs von damals. SWR1 Baden-Württemberg hingegen feiert die oben genannten jedes Jahr im Rahmen seiner Hitparade ab.

Im Fernsehen gab es Rockpalast, Formel Eins, Bananas, Musik-Convoy und "Das Boot". Da war der WDR führend. Nur im Radio halt nicht.

Die Zeiten haben sich geändert. Gott sei Dank.

22.3.23

EU: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich

Anlässlich der gewalttätigen Proteste in Frankreich gegen die dortige Heraufsetzung des Rentenalters möchte ich mal meine Gedanken zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Deutschen und Franzosen teilen.

Die derzeitigen Proteste in Frankreich gegen die Rentenpolitik von Präsident Macron erinnern mich an die brutalen Auseinandersetzungen in Deutschland um die Atomkraft. Wer in meiner Generation erinnert sich nicht an Brokdorf, Wackersdorf oder Kalkar?

Was den Deutschen ihre Umwelt und ihr Atom, ist den Franzosen ihre Sozialpolitik und ihre Rente. Die Franzosen haben über 50 Atomkraftwerke und mit La Hague eine atomare Wiederaufbereitungsanlage. Dagegen gab es dort niemals Proteste. Umgekehrt gab es bei uns kaum Proteste gegen die „Agenda 2010“ und die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre.

Die Franzosen haben kein Problem mit dem Atom, wir haben kein Problem mit Sozialabbau.

Als Tschernobyl 1986 geschah, durfte ich nicht im Garten spielen. Ich durfte kein Milchpulver essen, keine Pfifferlinge, kein Hackfleisch, kein Wild. Das tue ich bis heute nicht. "Ist verstrahlt", lautete die Standardantwort meiner Mutter. Diese beiden Worte haben sich in mein Gehirn eingebrannt. Es gab eine Hotline des NRW-Umweltministeriums, die meine Mutter regelmäßig für die neuesten Becquerelwerte kontaktierte. 

Nach Tschernobyl nahm die SPD Abstand von der Atomkraft. 1989 nahm die Industrie Abstand von der Idee, im bayerischen Wackersdorf eine atomare Wiederaufbereitungsanlage zu bauen. Der deutsche Atommüll wurde lieber nach La Hague und Sellafield verschickt. Die Franzosen (und Briten) hatten kein Problem mit Atomkraft. Ganz im Gegensatz zu den Deutschen. Die wehrten sich mit aller Gewalt gegen die Kernkraft.

Als Gerhard Schröder die „Agenda 2010“ verabschiedete, gab es eine Zeitlang Proteste. Irgendwann flauten die ab. Schröder überlebte seine Reformpolitik trotzdem nicht. Vergleichen mit der Gewalt in Frankreich kann man die deutschen Proteste dennoch nicht.

Gottseidank haben wir ein gemeinsames Europa, in dem wir Werte teilen. Bei allen Unterschieden, die es zwischen unseren Gesellschaften gibt.