12.5.23

Deutschland – Das unreformierbare Land?

Beispiel Bildungspolitik.

Als vor rund 20 Jahren der PISA-Schock Deutschland erschütterte, überlegten sich die Bildungspolitiker aller Couleur: Wer macht es besser?

Sie schauten nach Skandinavien. Heerscharen von Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten strömten etwa nach Finnland und versuchten, von dem Land zu lernen. Die größte Konsequenz, die im Dickicht unserer Mehrebenenregierung daraus gezogen wurde, war die Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre. Diese Reform führte aber im Dschungel der Zuständigkeiten von Bund und Ländern zu derartigen Verwerfungen, dass viele Bundesländer davon wieder Abstand nahmen, und zum alten System zurückkehrten. Hat man von Skandinavien also gelernt? Nein.

Beispiel Sozialpolitik.

„Die Rente ist nicht sicher.“ Dieser Satz ist seit ebenfalls rund 20 Jahren Konsens.

Daher wurde und wird daran munter herumgedoktert. Erst wurde das Niveau der umlagefinanzierten Rente abgesenkt, und die private Vorsorge in Form von „Riester“ und „Rürup“ eingeführt. Mit dem Hinweis, dass damit alles besser würde, und das System damit gerettet sei. Mittlerweile ist es Konsens, dass diese Reformen auch nicht der Weisheit letzter Schluss waren. Deswegen wird jetzt ein Auslaufen der (gerade mal zwei Jahrzehnte alten) kapitalgedeckten Vorsorgemodelle diskutiert, stattdessen die Einführung einer Aktienrente (übrigens dienen auch hier wieder skandinavische Länder als Vorbild). Wahrscheinlich wird man dann in 20 Jahren sagen: Ach, nee, auch das war nicht so doll. Lasst uns die Rente gleich ganz privatisieren…

Beispiel Wirtschaftspolitik.

Ich erinnere mich, dass wir im Sozialwissenschaftsunterricht in den Neunzigern über „Globalisierung“ und „zu hohe Lohnnebenkosten“ diskutierten. Letztere wurden als Hauptargument dafür genommen, dass Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Schließlich wurden die Sozial- und Rentenversicherungsbeiträge tatsächlich gesenkt, die Wettbewerbsfähigkeit nahm tatsächlich zu, und die Arbeitslosenzahlen gingen tatsächlich zurück.

So weit, so gut.

Das Problem: Es wurde ein großer Sektor geschaffen, in dem lediglich niedrige Löhne gezahlt werden. Diese Leute zahlen keine Beiträge, und sie fallen später doch dem Staat vor die Füße, weil sie zu wenig vorsorgen konnten. Stichwort Altersarmut. Das Thema „Lohnnebenkosten“ ist derweil aus der öffentlichen Debatte weitgehend verschwunden. Immer mehr Menschen scheiden trotz negativer Anreize früh aus der Arbeitswelt aus. Die „Work-Life-Balance“ wird den Leuten immer wichtiger. Es gibt immer mehr ältere, und immer weniger jüngere Arbeitnehmer. Also alles paletti?

Nein. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die alte Diskussion wieder aufflammt. Während die einen von einer Vier-Tage-Woche träumen, wollen die anderen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 70 Jahre. Ein Konsens ist hier nicht erkennbar.

Beispiel Wohnen.

Irgendwann, etwa mit Beginn der Schröder-Ära, galt das Thema „Wohnen“ als so zweitrangig, dass das Bundesbauministerium als eigenständiges Ressort abgeschafft wurde. Dafür gab es ein „Infrastrukturministerium“, eine Kombination aus „Bau“ und „Verkehr“. Das Problem „Wohnungsnot“, noch in den 1970er-Jahren groß diskutiert, schien abgehakt.

Mittlerweile gilt das Thema Wohnen wieder als Problem. Daher gibt es wieder ein eigenständiges Bauministerium. Die Miet- und Kaufpreise für Wohnungen und Häuser sind überall massiv gestiegen, wenn sie auch wieder leicht sinken. Überall fehlt bezahlbarer Wohnraum. Eine Konsequenz aus der Vernachlässigung des Themas über viele Jahre.

Dies sind nur einige Beispiele. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt, die deutsche Demokratie sei im Vergleich „besonders langsam“. Damit hatte er wohl recht. Es sind, eigentlich grundlegende Strukturreformen nötig, nicht mehr nur das Herumdoktern an Symptomen.

Aber, wie gesagt, Stichwort „langsame Demokratie“…

4.5.23

Mythos Fachkräftemangel?

Momentan heißt es mal wieder: Wir haben Fachkräftemangel.

Das hieß es auch schon von 15 Jahren, als ich meinen Hochschulabschluss machte. Damals wurde gesagt: Wir brauchen mehr Akademiker! Geht studieren, am besten MINT-Fächer!

In der Folge stiegen die Abiturienten- und Studierendenzahlen stark an. So stark, dass mittlerweile ein Großteil eines Jahrgangs in Deutschland den Weg Abitur plus Studium wählt.

Damals sah ich einen Beitrag von „Report München“, in dem die These „Fachkräftemangel“ dekonstruiert wurde. Ich erinnere mich, dass eine studierte Informatikerin gezeigt wurde, die mit ihrem Kind im Grünen spielte und keinen Job fand, weil sie Mutterschaftsurlaub genommen hatte, und danach fachlich als nicht mehr „up to date“ angesehen wurde.

Deshalb muss man mit der generellen Aussage, „wir haben Fachkräftemangel“, sehr vorsichtig sein. Das gilt nur für bestimmte Schulabschlüsse und Berufsgruppen. Wer lange "draußen" ist, kommt oft nur schwer wieder "rein". Wie ich neulich in einem Beitrag für „tagesschau24“ sah, werden Akademiker momentan nur wenig mehr gesucht als Ungelernte. Dafür mangelt es an Menschen mit einer klassischen dualen Ausbildung, was eben an oben genannter Entwicklung der letzten 15 Jahren liegt.

Die Leute strömen an die Unis, dafür machen weniger eine Ausbildung. Daher dort der Mangel jetzt. Meine persönliche Erfahrung ist, dass man mit pauschalen Aussagen „geht studieren, wir brauchen Akademiker!“ oder „macht eine Ausbildung, wir brauchen Facharbeiter!“ nichts weiter als den nächsten Schweinezyklus produziert.

Wenn man näher hinsieht, gilt der momentane Fachkräftemangel nur für einige Branchen, wie etwa die Pflege. Andere Ausbildungsbereiche können sich ihre Bewerber dagegen aussuchen.

Und Akademiker? Tja…

3.5.23

„Versus“ – Gegensätze

Ich möchte einmal über Konflikte schreiben.

An dieser Stelle hatte ich schon einmal über den Konflikt zwischen Biologen und Sozialwissenschaftlern geschrieben. Dabei ging es um das Thema „Geschlecht und geschlechtliche Identität“. Also den Gegensatz „sex“ (Biologie, das biologische Geschlecht) vs. „gender“ (Sozialwissenschaften, das soziale Geschlecht).

Dieser Gegensatz sorgt für Konflikte, und er lässt sich nicht so leicht auflösen. Die eine Seite wirft der jeweils anderen Seite „Ideologie“ vor.

Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen kein Konsens zu erreichen ist.

Beispiel Wirtschaft: Was betriebswirtschaftlich sinnvoll und richtig erscheinen mag (nämlich Menschen zu entlassen, um Kosten zu sparen), kann volkswirtschaftlich fatal sein (es entstehen für die Allgemeinheit Kosten, da den Entlassenen Arbeitslosengelder gezahlt werden müssen.) Und das, obwohl beide, soweit ich weiß, lange Zeit das Gleiche im Studium lernen.

Beispiel Cannabis, hier schon einmal erwähnt: Was Staatsanwälte vermutlich freuen wird, nämlich die geplante Entkriminalisierung von Cannabis (weil sie dann nicht gegen jeden kleinen, erwischten Konsumenten ein Verfahren einleiten müssen), dürften Ärzte mit Sorge sehen (weil zu erwarten ist, dass, zumindest anfangs, die Ambulanzen voll sein werden mit zugedröhnten Patienten, die „mal probieren wollten“).

Ein weiteres Beispiel: die momentan vieldiskutierte Verkehrswende. Die einen sehen in der Tendenz zum Elektroauto, weg vom Verbrenner, die Möglichkeit, die Klimaziele zu erreichen. Andere, etwa auch die Grünen-Politiker in Autobundesländern, befürchten, dass bei ihnen vor Ort dadurch Arbeitsplätze verloren gehen. Denn zur Herstellung eines Verbrennermotors braucht man sieben Arbeiter. Für einen Elektromotor nur einen. 

Auch im Bereich Religion gibt es Gegensätze: Einerseits die Atheisten, die in jeder Religion „Opium fürs Volk“ sehen, und radikale Realisten sind. Auf der anderen Seite die (bei uns) immer weniger werdenden treuen Gläubigen, die selbst, wenn sie entlassen werden, darin noch den Willen Gottes sehen. In Amerika sieht man das am Konflikt „liberals“ versus „evangelicals“.

Und es gibt, seit Beginn des Ukraine-Krieges und des Aufstieg Chinas, noch einen neuen, alten Konflikt auf der Welt:

Ost gegen West.

Aber das ist eine andere Geschichte. Die hier zu erzählen, würde zu lange dauern.

Welches Fach mir fast die Abiturnote versaut hätte.

Vor einigen Wochen las ich, dass in Umfragen rund 40 Prozent der männlichen Schüler angeben, Sport sei ihr Lieblingsfach in der Schule.

Ich gehör(t)e nicht zu diesen 40 Prozent.

Wir hatten Schulschluss um 13.30 Uhr. Der Sportunterricht danach begann in der Oberstufe immer erst nach einer Pause von 45 Minuten. Also fuhr ich heim.

Und schwänzte den Sportunterricht gerne mal.

Bis mein Sportlehrer mich zur Seite nahm, und mich ermahnte: „Stefan, wenn Du jetzt nicht regelmäßig mitmachst, kriegst Du in Sport eine Fünf auf dem Zeugnis.“ Man muss wissen, ich war nicht im „coolen“ Basketball- oder Fußballkurs, in denen die Cracks waren, die im Sportabitur ihre „1+“ reserviert hatten.

Sondern ich spielte Volleyball. Der Kurs mit vielen Girls, und vielen von denen, die wie ich froh waren, wenn Sport vorbei war.

Also kam ich regelmäßig. Und erhielt dann noch eine glatte Vier auf dem Zeugnis.
Was dennoch meine mit Abstand schlechteste Note auf dem Abizeugnis war.

Lange ist’s her.

1.5.23

Warum Einkaufen keinen Spaß mehr macht, und was der 1. Mai bedeutet

Heute ist 1. Mai. Feiertag. Tag der Arbeit. Alle Geschäfte haben geschlossen.

Ich mache mir Gedanken ums „Shopping“. Und um diesen Tag.

„Früher“, als ich Kind war, war es etwas Besonderes, wenn man samstags in die Stadt fuhr und Einkaufen ging. Es ging zum Karstadt, Kaufhof oder Horten. Auch mal zu C&A oder Peek und Cloppenburg. Wir gingen zum Nordsee Fisch essen, und trugen unsere Tüten heim. Bis auf C&A sind alle diese Läden mittlerweile insolvent. Na ja, auch Nordsee gibt es noch.

Wenn ich heute durch unsere Innenstadt gehe, sehe ich viele Handyshops, 1-Euro-Läden und übergroße Woolworth-Filialen. Inhabergeführte Geschäfte gibt es so gut wie gar nicht mehr. In der Fußgängerzone meines Stadtteils macht jetzt die letzte, privat geführte Bäckerei dicht, wie ich diese Woche mit Bedauern feststellen musste.

Der Unterschied zu „früher“ ist ebenfalls, dass man jeden Tag Deutsche-Post-, Hermes-, oder UPS-Wagen durch die Straßen fahren, und in der zweiten Reihe parken, sieht. Die sind immer randvoll mit Päckchen und Paketen des großen US-Internetkaufhauses, das mit „A“ beginnt. Die Leute kaufen, offenbar seit der Corona-Pandemie verstärkt, meist nur noch online ein.

Wenn man unter der Woche in ein klassisches Kaufhaus der Firma „G.“ geht, ist es meist menschenleer. Und wenn man die Menschen in den großen, klassischen Malls beobachtet, erkennt man, dass die meisten keine Tüten bei sich tragen. Sondern nur bummeln. Das Geld sitzt offenbar nicht mehr so locker bei den Leuten.

Ist das nur bei mir im Ruhrgebiet so? Oder ist das auch so in reichen deutschen Städten wie München oder Hamburg? Ich weiß es nicht genau, habe Ähnliches aber in Frankfurt auf der Zeil beobachtet.

Um auf den Anfang zurück zu kommen: Corona, die Inflation, der geringe Lohnanstieg der letzten Jahrzehnte, sowie der Trend zum Singledasein, haben dazu geführt, dass die Leute sich mehr ins Private zurückziehen und weniger konsumieren. Deshalb sind Gemeinschaftserlebnisse wie der 1. Mai vielleicht so wichtig. Weil sie ein Gemeinschaftsgefühl zeigen, das im Jahr 2023 vielerorts verloren gegangen scheint.