Beispiel Bildungspolitik.
Als vor rund 20 Jahren der PISA-Schock Deutschland erschütterte, überlegten sich die Bildungspolitiker aller Couleur: Wer macht es besser?
Sie schauten nach Skandinavien. Heerscharen von Wissenschaftlern,
Politikern und Journalisten strömten etwa nach Finnland und versuchten, von dem
Land zu lernen. Die größte Konsequenz, die im Dickicht unserer Mehrebenenregierung
daraus gezogen wurde, war die Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre. Diese
Reform führte aber im Dschungel der Zuständigkeiten von Bund und Ländern zu
derartigen Verwerfungen, dass viele Bundesländer davon wieder Abstand nahmen, und
zum alten System zurückkehrten. Hat man von Skandinavien also gelernt? Nein.
Beispiel Sozialpolitik.
„Die Rente ist nicht sicher.“ Dieser
Satz ist seit ebenfalls rund 20 Jahren Konsens.
Daher wurde und wird daran munter herumgedoktert. Erst wurde
das Niveau der umlagefinanzierten Rente abgesenkt, und die private Vorsorge in
Form von „Riester“ und „Rürup“ eingeführt. Mit dem Hinweis, dass damit alles
besser würde, und das System damit gerettet sei. Mittlerweile ist es Konsens,
dass diese Reformen auch nicht der Weisheit letzter Schluss waren. Deswegen
wird jetzt ein Auslaufen der (gerade mal zwei Jahrzehnte alten) kapitalgedeckten
Vorsorgemodelle diskutiert, stattdessen die Einführung einer Aktienrente (übrigens
dienen auch hier wieder skandinavische Länder als Vorbild). Wahrscheinlich wird
man dann in 20 Jahren sagen: Ach, nee, auch das war nicht so doll. Lasst uns
die Rente gleich ganz privatisieren…
Beispiel Wirtschaftspolitik.
Ich erinnere mich, dass wir im
Sozialwissenschaftsunterricht in den Neunzigern über „Globalisierung“ und „zu hohe
Lohnnebenkosten“ diskutierten. Letztere wurden als Hauptargument dafür genommen,
dass Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Schließlich wurden die
Sozial- und Rentenversicherungsbeiträge tatsächlich gesenkt, die Wettbewerbsfähigkeit
nahm tatsächlich zu, und die Arbeitslosenzahlen gingen tatsächlich zurück.
So weit, so gut.
Das Problem: Es wurde ein großer Sektor geschaffen, in dem
lediglich niedrige Löhne gezahlt werden. Diese Leute zahlen keine Beiträge, und
sie fallen später doch dem Staat vor die Füße, weil sie zu wenig vorsorgen
konnten. Stichwort Altersarmut. Das Thema „Lohnnebenkosten“ ist derweil aus der
öffentlichen Debatte weitgehend verschwunden. Immer mehr Menschen scheiden
trotz negativer Anreize früh aus der Arbeitswelt aus. Die „Work-Life-Balance“
wird den Leuten immer wichtiger. Es gibt immer mehr ältere, und immer weniger
jüngere Arbeitnehmer. Also alles paletti?
Nein. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die alte Diskussion
wieder aufflammt. Während die einen von einer Vier-Tage-Woche träumen, wollen
die anderen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 70 Jahre. Ein Konsens
ist hier nicht erkennbar.
Beispiel Wohnen.
Irgendwann, etwa mit Beginn der
Schröder-Ära, galt das Thema „Wohnen“ als so zweitrangig, dass das
Bundesbauministerium als eigenständiges Ressort abgeschafft wurde. Dafür gab es
ein „Infrastrukturministerium“, eine Kombination aus „Bau“ und „Verkehr“. Das Problem
„Wohnungsnot“, noch in den 1970er-Jahren groß diskutiert, schien abgehakt.
Mittlerweile gilt das Thema Wohnen wieder als Problem. Daher
gibt es wieder ein eigenständiges Bauministerium. Die Miet- und Kaufpreise für
Wohnungen und Häuser sind überall massiv gestiegen, wenn sie auch wieder leicht
sinken. Überall fehlt bezahlbarer Wohnraum. Eine Konsequenz aus der Vernachlässigung
des Themas über viele Jahre.
Dies sind nur einige Beispiele. Der ehemalige Bundeskanzler
Helmut Schmidt hat einmal gesagt, die deutsche Demokratie sei im Vergleich „besonders
langsam“. Damit hatte er wohl recht. Es sind, eigentlich grundlegende
Strukturreformen nötig, nicht mehr nur das Herumdoktern an Symptomen.
Aber, wie gesagt, Stichwort „langsame Demokratie“…
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