April, 15:58 Uhr, Flughafen Köln
Seit zweieinhalb Stunden sitze ich im
Bus nach Frankfurt. Das Wetter ist schön, die Sonne scheint, auch
wenn es kalt bist. Wir haben uns zuvor durch den Duisburger,
Düsseldorfer und Leverkusener Stadtverkehr gequält. In Essen war
der Bus, der übrigens bis nach Budapest fährt, noch leer.
Jetzt ist er voll.
Der Bus kommt aus der Slowakei, genau
so wie die Fahrer, die aber Deutsch sprechen.
Ich lehne mich zurück. Die Fahrt geht
weiter.
17:04 Uhr, Zwischenhalt Montabaur
Der hr meldet 10 Kilometer Stau und 40
Minuten Verzögerung auf der A3 Richtung Süden in Höhe Limburg
wegen eines Unfalls. Ich sage dem Busfahrer Bescheid, der kein Radio
hört. Er fährt tatsächlich über Land, nicht auf die Autobahn.
Plötzlich aber nimmt er eine Abzweigung in die Pampa. Werden wir
jemals ankommen? Obwohl ich die Strecke seit 33 Jahren kenne, bin ich
hier über Land noch nie gefahren..
18:15 Uhr. Limburg
Ankunft nach einer Fahrt über Land.
Endlich. Und im Radio wird schon der nächste „traffic jam“
gemeldet. Sowohl auf der 66 Richtung Frankfurt, als auch für die
Strecke weiter Richtung Würzburg, wenn ich schon ausgestiegen sein
werde. Immerhin hält das Wetter. Die Stimmung im Bus ist auch ruhig.
Also alles entspannt.
April, 12:15 Uhr,
Frankfurt-Bockenheim
Nach der Ankunft gestern im Hotel bin
ich todmüde ins Bett gefallen. Dafür war ich heute schon um sieben
auf den Beinen.
Habe das Hotelfrühstück ausgelassen,
und mir stattdessen was auf die Hand geholt. Danach fuhr ich mit der
S1 bis zum Südbahnhof. Der Innenstadttunnel ist in den Osterferien
wegen Bauarbeiten gesperrt, so dass ich nicht über den Hauptbahnhof
fahren konnte.
Ich wollte meine alte Heimat mal
wiedersehen.
Fuhr mit der S1 bis Obertshausen im
Kreis Offenbach. Den Weg zu unserem alten Haus bin ich dann zu Fuß
gelaufen. Wenig hatte sich in dreißig Jahren verändert, na gut,
vielleicht bis auf ein paar Neubauten entlang des Weges.
Von unserem alten Haus in
Obertshausen-Hausen bin ich dann meine alte Schulwegstrecke bis zum
Rathaus gelaufen. Dort stieg ich in den 120er-Bus. Damals war es „der
Zwanziger“.
In Mühlheim am Main stieg ich um in
die S8 Richtung Frankfurt. Auch hier wurde der Zug, der sonst durch
die Innenstadt fährt, zum Südbahnhof umgeleitet. Plötzlich, kurz
hinter Offenbach, hält der Zug mitten auf der Strecke, und...die
Zugtüren öffnen sich. Mittendrin. Ich, wie meine Mitfahrer, ganz
erschrocken, wäre um ein Haar ausgestiegen. So was habe ich noch nie
erlebt. Der Zugführer entschuldigt sich nicht mal, als wir
weiterfahren.
Als ich an der Hauptwache ankomme,
schlendere ich erst mal in der Sonne über die Zeil.
In einem großen Kaufhaus, das laut
Medienberichten mittlerweile insolvent ist, kaufe ich im
Schlussverkauf eine Winterjacke. Zufrieden fahre ins Hotel zurück
und nehme ein Mittagsschläfchen.
Heute Abend treffe ich noch einen alten
Freund.
April, 11:16 Uhr, Göttingen
Vor 10 Minuten in Göttingen
angekommen. Der Zug hatte zehn Minuten Verspätung wegen eines
Polizeieinsatzes am Frankfurter Südbahnhof und war rappelvoll. Bei
Sonnenschein sitze ich in einem italienischen Café und warte darauf,
dass mein Hotelzimmer frei wird. Mein Gepäck habe ich dort schon
abgegeben. Die Sonne scheint, circa 11 Grad sind es draußen. Die
Stadt ist heute am Karfreitag menschenleer, bis auf einige wenige
Spaziergänger.
Morgen fahre ich nach Osterode in den
Harz, wo mein Vater geboren wurde. Abends gehe ich ins Theater. Der
Latte Macchiato kommt, ich schaue auf die Fußgängerzone. Genieße
die Sonne. Warte.
12 Uhr
Das letzte Mal in Göttingen war ich im
Frühjahr 2001. Es war eiskalt, überall lag Schnee. Ich war noch
Zivildienstleistender (für die Jüngeren: Googlen!).
Mein Vater wollte mich auf mein Studium
vorbereiten. Sagte: „Jetzt zeige ich dir mal meine alte
Universitätsstadt!“ Er freute sich. Ich dagegen war froh, mal ein
paar Tage vom Stress im Krankenhaus loszukommen. Freute mich
eigentlich eher aufs DXen im Süden Niedersachsens, als darauf,
endlich eine Universität kennen zu lernen.
Jedenfalls saßen wir dann im
„Nörgelbuff“, seiner alten Studentenkneipe. Er erzählte mit
leuchtenden Augen von seiner Studienzeit. Wie ich später im Internet
las, hatte zur gleichen Zeit wie er auch Gerhard Schröder hier in
Göttingen studiert. Mein Vater Volkswirtschaft, Schröder Jura. Ob
sie sich mal begegnet sind? Keine Ahnung.
Jedenfalls fuhren wir noch auf den
ebenso schneebedeckten Torfhaus im Harz, während mich eine Freundin
aus dem Ruhrgebiet auf dem Handy anrief, die ich eigentlich gar nicht
mehr sehen wollte.
So dass ich dann doch froh war, von zu
Hause weg zu sein.
Abends gingen wir dann noch ins
Theater. Und nach wenigen Tagen musste ich daheim dann auch schon
wieder arbeiten. Und hatte eigentlich immer noch keine Lust darauf,
noch mal irgendwo die Schulbank zu drücken.
Dass ich es dann doch tat...ich bin
doch froh drum.
19:07, Göttingen, Jüdengasse, Hotel
Central
Nach einem langen Stadtrundgang im
Sonnenuntergang sitze ich nachdenklich in meinem Zimmer. 22 Jahre ist
das nun ziemlich genau her, dass ich in dieser Stadt zuletzt war. Ich
habe einen sehr freundlichen Eindruck von ihr. Nicht zu vergleichen
mit dem eiskalten Wetter, das herrschte, als ich 2001 hier verweilte.
Denke an meinen Vater und meine Mutter, und an die
„Abschiedstournee“, die ich hinter mir, und noch vor mir habe.
19:26 Uhr
Das Zimmer ist spartanisch
eingerichtet. Es erinnert schon sehr an eine typische Studentenbude.
Vermutlich übernachten hier viele, die sich schon mal auf ihr
Studium vorbereiten wollen. Und ihre Angehörigen. Ich erinnere mich,
dass wir damals, 2001, in einem ibis-Hotel übernachtet haben (es
gibt auch noch Best Western, Steigenberger, Hilton, um hier keine
Werbung zu machen). Die Müdigkeit übermannt mich. Und ich lege mich
schlafen.
April, 11:02 Uhr
Mein Aufenthalt in Göttingen neigt
sich dem Ende entgegen.
Gestern Abend hatte ich ein
Theaterstück namens „Jeeps“ besucht. Es war eine Satire rund um
JobCenter und Erben. Sehr lustig. Passend. Die Sonne scheint nicht,
aber es ist trocken. Die Kirchenglocken läuten zum
Ostersonntagsgottesdienst. Ich bestelle einen Kaffee. Warte auf den
Zug, der mich um 12.25 Uhr weiter nach Hamburg bringt.
17:45 Uhr, Hamburg, Amsinckstraße
Seit drei Stunden bin ich nun in der
Stadt. Fuhr zu den Landungsbrücken und aß in der Sonne in den
Touristenmassen (Achtung: Klischee, Klischee!) ein Fischbrötchen.
Was ich heute Abend noch hier machen werde? I won't tell you...;-)
April, 06:48 Uhr
Ich warte auf das Frühstück.
Es gibt einen Song über Hamburg, der
mich geprägt hat. Und zwar Udo Lindenbergs „Reeperbahn“. (Die
Version von 1978, nicht die neue. Deutsche Version von „Penny
Lane“). Mein Vater hatte auch diese Platte im Regal stehen. Da kann
ich auch noch jede Zeile auswendig. Leider muss ich heute schon
weiterfahren. Mit dem Bus, in die Heimat meiner Mutter.
15:45 Uhr, Leer, Hotel Oberledinger Hof
Über Bremen bin ich heute gegen Mittag
in der Geburtsstadt meiner Mutter angekommen. Hier war ich mit meinen
Eltern oft. Fuhr in das Heimatdorf meiner Mutter, das ich mit ihr
zuletzt vor etwas mehr als drei Jahren besuchte.
Heute komme ich alleine, ohne sie.
Mit meinem Mietwagen fuhr ich am Deich
entlang und trank im Heimatort meiner Mutter in einem Café, direkt
am Wasser, einen heißen Kakao. Ich dachte darüber nach, warum ich
hier so oft gewesen bin, im Heimatort meines Vaters im Harz jedoch
nie. Den habe ich ja gerade wenige Tage zuvor, zum ersten Mal zu
Gesicht bekommen. Vielleicht wollte er nicht mehr dorthin zurück.
Ich werde es nie erfahren.
Zum x-ten Male nehme ich mir vor, das
Rauchen einzustellen, wenn ich wieder daheim bin.
Morgen fahre ich zurück nach Hause.
Ich werfe mich aufs Bett und lese einen Mallorca-Krimi.
16:32 Uhr
Meine Mutter hat ihre Heimat 1967
verlassen, direkt nach dem Abitur.
Sie ging nach München, für ein
Soziales Jahr. Das waren damals 13 Stunden Fahrt mit dem Zug, wie sie
immer wieder erzählte. Danach studierte sie an der Pädagogischen
Hochschule München Lehramt, wollte aber nicht in Bayern Lehrerin
werden. Deshalb ging sie Anfang der Siebziger Jahre nach Köln. Als
sie mit ihren Habseligkeiten in Köln ankam, kaufte sie sich einen
„Kölner Stadt-Anzeiger“ und nahm sich die erstbeste
Studentenbude.
Sie war mutig. Geradezu kühn.
Ihre Heimat hat sie in Gedanken nie
ganz verlassen. Über den US-Filmemacher Michael Moore, der aus
Flint, Michigan, kommt, hat mal jemand - halb im Ernst, halb im Spaß
- gesagt: „Man bekommt Michael aus Flint 'raus, aber man bekommt
Flint nicht 'raus aus Michael.“
So war es bei meiner Mutter auch. Das
liebte ich an ihr.
Meine Großmutter wohnte noch
Jahrzehnte, nach dem Tod meines Großvaters, in ihrem Elternhaus
alleine weiter. 1994 sollte sie nach Essen kommen. Sie hielt es dort
nur wenige Wochen aus. Dann fuhr sie wieder nach Hause.
1996 kam meine Großmutter ins
Altersheim. Ein Jahr später räumten ich und meine Mutter ihr Haus
aus. Meine Großmutter konnte nichts wegwerfen, und hatte über all
die Jahre und Jahrzehnte allen möglichen Krimskrams gesammelt. Es
dauerte eine Woche, bis wir fertig waren.
Und wie wir fertig waren!
Ich liebe meine Eltern.
Das Leben ist schön.
April, 14:50 Uhr, Essen
Ich bin zurück zu Hause.
Auf dem Weg von Ostfriesland zurück
ins Ruhrgebiet habe ich dann noch spontan Zwischenstopp in Gronau
gemacht. Im Rock'n'Pop-Museum von Udo Lindenberg. War sehr
unterhaltsam. Kann ich jedem nur empfehlen.
Hier endet meine Osterreise.