29.12.24

Was ist in diesem Land los?

Deutschland war einmal eine Soziale Marktwirtschaft. Ein Land, das stolz war auf seine demokratische Entwicklung und Errungenschaften. Ein Land, das stolz war auf seinen sozialen Frieden, und in dem auch Schwächere eine Chance hatten. Ein Land mit gut ausgebildeten Facharbeitern und angemessenen Löhnen. Ein Land, das stolz war auf seine Liberalität und Weltoffenheit.

Laut einer weltweit durchgeführten BBC-Umfrage von vor einigen Jahren ist Deutschland das beliebteste Land. Und, ja, es stimmt auch, dass bei uns noch Einiges besser funktioniert als bei unseren Nachbarn oder in anderen gefährdeten Demokratien auf der Welt.

Aber die eisige Kälte in Deutschland bezieht sich nicht nur auf das Wetter. Elon Musk ist da nur die Spitze des Eisbergs. Bei der nächsten Bundestagswahl könnte die rechtsextreme AfD zweitstärkste Partei werden, glaubt man den Umfragen. Und der Chef der größten Oppositionspartei, ein ehemaliger Lobbyist eines Billionen schweren Vermögensverwalters, holzt gegen Schwächere.

Nach unten treten, das scheint die Devise zu sein, die sich Teile Deutschlands und Europas wünschen. Die meisten Deutschen schauen sorgenvoll aufs neue Jahr 2025. Angesichts von Kriegen und Krisen. Dabei müssten sie wissen, dass Deutschland politisch in der EU und militärisch in der NATO relativ sicher aufgehoben ist. Im Kalten Krieg, als die Front direkt durch Deutschland verlief, war die Lage viel prekärer.

Dennoch ist die Stimmung schlecht. Viele sehnen sich in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zurück, die, näher betrachtet, eher schlechter war als heute. Retro ist in.

Ich wünsche Euch trotzdem einen guten Rutsch ins Jahr 2025. Bleibt mir treu.


 

13.12.24

Warum in Deutschland und den USA ein umfassendes wirtschaftspolitisches Konzept fehlt

Ich wohne im Ruhrgebiet. Hier werden die Schlangen vor den Tafeln immer länger, und die Schuldenberge der Kommunen immer höher.

Es war der Sündenfall der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Schröder, gleichzeitig den Arbeitsmarkt zu deregulieren und die Sozialleistungen zu kürzen. Das wirkt bis heute nach. Für die zunehmende Verschuldung der Kommunen in NRW gibt es weder auf Landes-, noch auf Bundesebene einen Plan. Da ist es kein Wunder, dass extremistische Kräfte immer mehr Zulauf erhalten.

Weder die GroKo, noch die Ampel, und vermutlich auch die kommende Bundesregierung, hatten und haben ein stimmiges Konzept, um Deutschland auf Vordermann zu bringen.

Was Noch-Wirtschaftsminister Habeck vorgeschlagen hat, nämlich eine staatliche Investitionszulage von zehn Prozent auf alle privaten Investitionen, zähle ich nicht zu einem vernünftigen Konzept. Das zeugt eher von Planlosigkeit. Auch wenn es zu den wirtschaftspolitischen Vorstellungen einer tendenziell links von der Mitte agierenden Partei passt.

Auch von Union und FDP hört man wenig in Sachen Wirtschaftspolitik. Einer der engsten Berater von Ex-Bundesfinanzminister Lindner, der Ex-Wirtschaftsweise Feld, ist ein Hardliner in Sachen angebotsorientierter und neoklassischer Wirtschaftstheorie. Die in ihrer reinen Lehre längst von der Realität überholt ist.

Auch die Industrie ist kein Selbstläufer mehr. Nehmen wir die Autoindustrie. Es gibt bereits seit den 1970er-Jahren Pläne und Modelle, Elektroautos statt Verbrenner einzuführen. Genau wie das einst geplante Drei-Liter-Auto wurden diese Pläne nie konsequent umgesetzt. Da hilft auch kein Investitionszuschuss.

Donald Trump wurde in den USA vermutlich auch deshalb wiedergewählt, weil er als Unternehmer, und durch seine jahrzehntelange Medienpräsenz, den US-Bürgern als „Wirtschaftsexperte“ erschien. Dabei fällt ihm in Sachen Ökonomie außer Zöllen auf althergebrachte Wirtschaftszweige wie der Stahlindustrie und Protektionismus auch nichts Vernünftiges ein.

Wollen wir hoffen, dass der Wahlkampf in Deutschland bis Februar in einigermaßen geordneten Bahnen verläuft. 

5.12.24

Sven Kroll zu Gast beim „Kölner Treff“ (WDR)

Meine Mutter schaute in den Jahren vor ihrem Tod regelmäßig die Nachmittagssendung „hier und heute“. Das war ihr tägliches Programm. Danach die Nachrichten im WDR, im ZDF und schließlich um 20.00 Uhr die „tagesschau“.

Sie war fernsehlos groß geworden. War froh, als in ihrer Heimat alle den „Zauberspiegel“ bekamen, damit die Menschen ihn als Fenster zur Welt entdecken konnten, wie sie mehrmals erzählte. Daher kannte und schaute sie nur „erstes, zweites und drittes Programm“.

Auch den „Kölner Treff“ sah sie regelmäßig. Zu Gast war dort am vergangenen Freitag der Moderator Sven Kroll, der eine ungewöhnliche Familiengeschichte erzählte.

In seiner Jugend hatte sein Vater den Kontakt zu ihm, seinem Bruder und seiner Mutter abgebrochen, eine neue Familie gegründet. Den Kontakt zu seiner Mutter hatte Kroll dann viele Jahre später selbst beendet, weil sie kein Interesse an seiner Person zeigte.

Ich musste, als ich das sah, an meine Eltern denken.

Die meiste Zeit meines Lebens hatte ich ein gutes Verhältnis zu ihnen. Sonst hätte ich nicht so lange für sie gesorgt. Ich gebe aber zu, dass ich oft daran dachte, meine Siebensachen zu packen und einfach abzuhauen. Aber dann hätte ich meinen demenzkranken Vater und meine herzkranke Mutter im Stich lassen müssen.

Und das brachte ich nicht übers Herz.

Um den Faden zurück zu Sven Kroll zu führen - auch ich stand und stehe ständig unter Leistungsdruck. Den habe ich schon als Jugendlicher gespürt. Aber so weit, den Kontakt zur Familie abzubrechen, ging es bei mir nicht.

Ich bin jetzt frei. Und diese Freiheit – um einen Werbespot zu zitieren – nehme ich mir.

4.12.24

Lesetipp: Jürgen Kocka, Geschichte des Kapitalismus (München, 2013)

Ich habe schon viele Bücher aus der Reihe "C. H. Beck Wissen" gelesen. Bereits im Studium. Diese Reihe bietet Wissen kompakt auf meist nicht mehr als 200 Seiten.

Aber dieses Buch finde ich besonders spannend.

Es behandelt die Entwicklung des Kapitalismus von seinen Ursprüngen an. Handelt von den großen Denkern wie Smith, Marx und Schumpeter, bis hin zum globalen Finanzkapitalismus der Gegenwart im 21. Jahrhundert.

Eine These finde ich besonders interessant. Jürgen Kocka, der mal Leiter des staatlichen Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) war, schreibt, dass die These, dass sowohl protestantisch-calvinistische Arbeitsethik, als auch die Tradition jüdischer Banker- und Kaufmannsfamilien, mit der Entwicklung und Ausprägung des modernen Kapitalismus viel zu tun haben, falsch ist. 

Dass Protestanten und Juden besonders intensive Kapitalisten seien, sei mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Damit widerspricht er auch dem Klischee des "white anglo-saxon protestant" in den USA und antisemitischen Vorurteilen.

Die momentane Situation unserer Wirtschaftsordnungen habe vielmehr etwas mit den Deregulierungs- und Entfesselungstendenzen seit den 1980er-Jahren zu tun. Der heutige globale Finanzkapitalismus habe mit der Politik Reagans und Thatchers seinen Anfang genommen.

Anderen Staaten haben sich dem angelsächsischen Wirtschaftsmodell angeglichen, weil es mit hohen Gewinnen lockte, und zugleich die "Gier" (nehmen wir mal diesen negativ konnotierten Begriff) des Menschen nach Reichtum belohnte. 

Das habe ich hier an anderer Stelle ja auch schon einmal geschrieben. 

27.11.24

Warum die Öffentlich-Rechtlichen dringend an ihrem Programm schrauben müssen

Ich schaue regelmäßig Öffentlich-Rechtlich. Gehöre damit wohl zu den älteren Zuschauern, da ich auch kein Streaming-Abo besitze.

Immer öfter erwische ich mich beim Schauen von ARD alpha, 3sat und arte. Tagesschau24 schaue ich als News-Junkie sowieso regelmäßig. Das können sie gut, die Öffis: Information und Bildung. 

Unterhaltung weniger.

Die Hauptprogramme von ARD und ZDF bestehen - was Unterhaltung angeht - aus Krimis, Kochshows, Quizshows, Telenovelas und bis zu sechs Mal die Woche aus „Bares für Rares“. 

Ziemlich dürftig für ein Millionenunternehmen.

Die Ministerpräsidenten der Länder, zuständig für Medien, wollen eine Reduzierung der TV- und Radioprogramme. Zugleich klagen ARD und ZDF momentan vor dem BVerfG für eine Beitragserhöhung.

Ziemlich verfahrene Situation.

Allerdings: Wer braucht Sender wie „ARD one“ (mit einem kaum messbaren Marktanteil) und das auf YouTube, Instagram und weiteren Online-Plattformen verteilte Jugendangebot „funk“?

Sparpotenzial wäre da. Und ich könnte mir auch vorstellen, auf einige öffentlich-rechtliche Angebote zu verzichten...wäre da nicht das Programm der Privaten so dürftig.

Einzig n-tv und WELT bieten ein den öffentlichen Informationssendern einigermaßen ebenbürtiges Konkurrenzangebot. Und die ewigen Dokumentationen auf den Streamingdiensten über amerikanische Innenpolitik bieten auch kein adäquates Gegenprogramm zu ZDF-info-Dokus.

Also: Nehmt Euch ein Vorbild an der BBC, ARD und ZDF! Deren Vorgabe lautet: „to inform, to educate and to entertain“.

Dann klappt’s auch wieder mit den Zuschauern.